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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ungeladenerweise erschienen sei, aber sein großes Interesse an dem Geisslerschen Werk, von dem er zufällig gehört habe und blabla. »Gerade Amateurkünstler sind krankhaft eitel, die Geissler wäre die letzte, die mich aus dem Haus jagt, wenn ich überhaupt in die Verlegenheit gerate, ihr meine Geschichte auftischen zu müssen. Es ist ihr Mann, der mich interessiert. Warum, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Aber keine Sorge, ich werde da nicht ins Fettnäpfchen treten.«
    »Also gut, Herr Cheng, aber bitte keinen Skandal.« Frau Hammerschmid war alles andere als glücklich mit ihrer Entscheidung, aber als sie kurz danach in die Arme ihres Poeten glitt, da war ihr klar, daß sie Cheng das ganz einfach schuldig war.
     
    Frau Hammerschmid saß im Gasthof eines Heurigen und genoß ihren Weißen Spritzer und den Umstand, daß sie um diese Zeit, früher Nachmittag, der einzige Gast war. Sie hatte beinahe vergessen, wie angenehm das war, einmal nicht den Mund offen zu haben und einmal nicht so zu tun, als würde man zuhören.
    Es war nicht mehr ganz so heiß wie an den Tagen zuvor, was kein Nachteil war, wenn man in einem engen Dinnerkleid steckte und einen Nachmittag mit Händeschütteln, Konversation und vielleicht Schlimmerem vor sich hatte. Ebensowenig ein Nachteil war, daß Erich, ihr Poet, zu irgendeinem Schriftstellerkongreß gefahren war. Sie wollte nicht, daß Erich mit Cheng bekannt wurde, seinem einstigen Beschatter.
    Man traut es gewissen Menschen einfach nicht zu: daß sie genauso schwindelerregend schick und abgeschleckt wirken können wie die zornigen, jungen Opportunisten in den Hochglanzmagazinen. Weshalb die Hammerschmid nicht glauben konnte, was sie da auf sich zukommen sah. Cheng machte, gelinde gesagt, einen formidablen Eindruck in seinem silbergrauen Anzug, der seine schlanke Asiatenfigur besser betonte als die übergroßen Baumfällerhemden und verwaschenen Pyjamahosen, die er üblicherweise trug. Der aufgesteckte Ärmel – dort, wo ein Arm war, der keinen Ärmel mehr nötig hatte – verlieh Cheng eine heroische Note, so als hätte er diesen Arm im Kampf gegen einen Kommunismus verloren, dessen größtes Verbrechen minderwertiger Anzugstoff gewesen war. Die Sonnenbrille in seinem unregelmäßigen (nun auf eine interessante Weise unregelmäßigen) Gesicht erinnerte an die brutale Eleganz einer Serra-Plastik aus Corten-Stahlplatten. Überhaupt: Der ganze Cheng wirkte wie eine Skulptur Serras, kompakt, auf eine schlanke Weise wuchtig, auf eine simple Weise kompliziert, mondän, arrogant, elitär.
    »Sie sehen ja großartig aus.«
    »Ich sehe widerlich aus.«
    Natürlich sah er widerlich aus, das war es ja, was ihn so attraktiv machte; das ist es ja immer, was uns an Menschen so attraktiv erscheint, das Widerliche ihrer Art und ihrer Kleidung, das Widerliche ihrer gekünstelten Bewegungen, ihrer B-Movie-Fratzen, ihr widerliches Selbstbewußtsein auf Kreditkarten- oder Kunsthallenniveau, ihr unentwegter Hinweis darauf, daß sie hier sind und daß es lange nicht so aufregend und amüsant wäre, wären sie nicht hier. Weil sie es sind, die der ganzen Veranstaltung erst Klasse verleihen.
    Cheng fand sich indiskutabel, aber er fand auch, daß er überraschend gut aussah in diesem Anzug zwischen Gaunertum und Avantgarde.
    »Sie sollten sich immer so kleiden«, fand die Hammerschmid, »Sie würden viel interessantere Fälle bekommen.«
    »Interessantere als kleine Buchhalter beschatten?«
    »Zum Beispiel.«
     
    Am Eingang zur Geisslerschen Jugendstilvilla stand so ein neuzeitlicher Lakai, bat mit der Höflichkeit eines Scheckbetrügers um den Vorweis der Einladung und zeigte sich über das Eintreffen von Herrn und Frau Hammerschmid (wie es auf der Einladung stand) derart erfreut, als geschehe es zu seinem eigenen Vergnügen.
    Im weitläufigen, von hohen Tannen flankierten Garten standen die mächtigen Zementheroinen, deren tatsächlich gewaltige Brüste den männlichen Betrachter zwischen bubenhafter Begeisterung und einem Gefühl der Bedrohung schwanken ließen. Die zupackenden Pranken und von blinder (wenngleich durchaus einsichtiger) Wut gezeichneten Gesichter der Heroinen ließen jedoch keinen Zweifel, für welche der beiden Gefühle der männliche Rezipient sich zu entscheiden habe.
    Zwischen den Plastiken tummelten sich an die hundertfünfzig Besucher, darunter ein einst berüchtigter Innenminister, den nun keiner mehr kannte. Irgendein Witzbold bemerkte, daß ihm aufgefallen sei, daß Kampfflieger

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