Cheng
so gut wie nie über solchen Gesellschaften abstürzten.
Cheng trennte sich sogleich von der Hammerschmid, nahm mit der Nonchalance des geübten Gesellschaftsmenschen das hingehaltene Glas Sekt vom Tablett und besah sich mit interesselosem Wohlgefallen die Skulpturen.
Vor einer Heroine, die in ihrer Faust etwas zerquetschte, von dem nur mehr schwer zu erkennen war, was es gewesen war, bevor es zerquetscht wurde, worüber man sich also so seine Gedanken machen konnte, steckte sich Cheng eine Zigarette in den Mund (Muratti statt der üblichen leichten Odyssee). Ein Mann, dessen Leibesfülle recht gut mit den Skulpturen korrespondierte und der in seinem Smoking ungemein kompakt wirkte, trat an Cheng heran und hielt ihm die Flamme seines hühnereiartigen Feuerzeugs unter die Zigarette, um gleich danach auch jener Pfeife Feuer zu spenden, die wie ein Wurfpfeil in seinem schwammigen Gesicht steckte.
»Man kommt nicht umhin, sich so seine Gedanken über die Madame Geissler zu machen, wenn man sich ihre Weiber anschaut, nicht wahr«, sagte der Mann und betrachtete die Heroine mit einem Blick behaglichen Ekels.
Cheng erklärte, er kenne Frau Geissler nicht persönlich. Dies sei sein erster Wienbesuch. Aber als Kunsthändler habe er natürlich ein gewisses Interesse an diesen Arbeiten.
»Na ja, es gibt immer genug Verrückte. Nehmen Sie das bitte nicht persönlich. Ich meine, wenn Sie Kunsthandel betreiben, leben Sie ja von diesen Verrückten. Beziehungsweise von solchen armen Schweinen, wie ich eines bin. Meine liebe Gemahlin ist so ein pathologischer Fall. So viel kann ich gar nicht verdienen, daß sie es wieder für irgendwelchen Kunstschrott hinauswirft. Aber sogar mein eigener Vermögensberater hält ihr die Stange, behauptet, daß sie ein untrügliches Gespür besitze und daß man sein Geld gar nicht besser anlegen könne. Ich frage Sie, was soll ich da machen. Na gut, von Ihnen darf ich wohl kein Mitleid erwarten. Übrigens, mein Name ist Huber.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Huber. Cheng, Frank Cheng.«
Chengs Hand versank in jener Hubers, und nur die hin und wieder hilfreichen Konventionen unserer Gesellschaft verhinderten, daß es Chengs Hand so erging wie dem Etwas in der Pranke der Heroine.
»Also, das muß ich sagen, mein lieber Herr Cheng, Ihr Deutsch ist ja wirklich ausgezeichnet. Ich meine, wenn ich da an unseren Bundeskanzler denke, meine Güte.«
Cheng erklärte, daß er zwar in Hongkong lebe, aber des öfteren in Deutschland zu Besuch sei und eine starke Vorliebe für die deutsche Sprache und Kultur entwickelt habe, die den Chinesen viel eher liege als das Englische, das nun aber leider, leider unumgänglich sei.
Herrn Huber erfreute die Germanophilie seines Gesprächspartners, und er erklärte seinerseits, wie sehr es ihn als Bauunternehmer, der auch am internationalen Markt mitmische, mitmischen müsse, nerve, immer wieder in Englisch konferieren zu müssen, mit Leuten, deren eigenes Englisch eine Katastrophe sei, selbst wenn es sich um sogenannte »native speaker« handle. Na ja, sagte er und seufzte. Eine Frau, die aussah wie die Miss Marple der neunziger Jahre, klopfte ihm auf die Schulter und fragte, was es denn schon wieder zu seufzen gebe, und erklärte, an Cheng gewandt, daß er nichts glauben solle, was ihr Mann erzählt habe. Woraufhin Baumeister Huber nochmals seufzte. Cheng erklärte, daß er mit ihrem Gatten ein überaus sachliches Gespräch über Kunst geführt habe. Frau Huber machte ein ungläubiges Gesicht und meinte: »Na ja.«
Dennoch unterhielt man sich in der Folge sehr freundlich über wenig heikle Dinge wie die Bedeutung asiatischer Studenten für das Wiener Musikleben oder die richtige Zubereitung von Topfenpalatschinken, wofür sich brennend zu interessieren Cheng – als angeblicher Ausländer – verpflichtet fühlte. Andere Leute traten hinzu, und das Topfenpalatschinkenproblem gewann an Brisanz, ohne daß die gute Stimmung darunter gelitten hätte.
Ein Chinese in einer weißen Kellneruniform und mit zwei gesunden Händen, auf einer davon ein Tablett mit gefüllten Sektflöten balancierend, trat zu der Gruppe und bat die Gäste, sich zu bedienen.
Als sich Cheng ein Glas nahm, sah ihn der Tablettjongleur begeistert an. Cheng nickte freundlich und wünschte den Typen zum Teufel. Und zwar sehr zu Recht, denn der Kellner sprach ihn sogleich auf Kantonesisch an. Chengs Lächeln verhärtete sich, und auch sonst war er schon einmal entspannter gewesen. Der andere
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