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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Jahren sitzt und unbelohnt Bilanzen frisiert. Nein, das Leben eines Erwachsenen wollte er in Jamaika führen; allein wie das klingt: Montego Bay.
    Einer von diesen Typen, die nicht mal Lotto spielen und seit ihrer Matura die gleichen Schuhe tragen und die es plötzlich wissen wollen und natürlich voll auf die Nase fallen (weil sich Verbrechen für sie nicht auszahlen darf, für solche Wohlstandsversager, für Leute, die im Supermarkt abgelaufene Ware kaufen, die Krawatten tragen, die andere nach Afrika schicken, für Leute, die nach Pitralon oder Tannennadeln riechen; wenn sich für solche Leute ihre kleinen Verbrechen lohnen würden, das wäre das Ende des Abendlandes).
    Cheng nahm den Auftrag an, in der billigen Hoffnung, er würde wieder einmal jemandem seine Unschuld nachweisen können. Dann fiel ihm ein, daß auch die Hammerschmid vor kurzem nach Hietzing gezogen war, und er fragte sie, ob ihr der Primar Geissler und seine Frau ein Begriff seien. Die Hammerschmid kannte die beiden noch nicht persönlich, war aber gerade eben erst von ihnen eingeladen worden. Die alte Geissler, die so verschimmelt nicht war, hatte sich vor den Abgründen ihrer berechtigten Eifersucht in die Bildhauerei geflüchtet, was ja wirklich nicht schaden kann. Einmal im Jahr gab sie eine Gartenparty, wo man zwischen polierter Bronze, wuchtigen Holzblöcken und gewaltigen nackten Heroinen aus Zement sich Miniaturbrötchen einverleibte (verständlich, daß sie sich wünschte, selbst so eine nackte Heroine zu sein, zwei Meter groß, mit Brüsten, mit denen allein man einen Mann erschlagen konnte; und ebenso verständlich, daß sich der alte Chirurg und berüchtigte Frauenheld in seiner Hietzinger Villa nicht gerade wohl fühlte, umgeben von Zementweibern, von denen er hin und wieder träumte, sie würden zum Leben erwachen, ihre schweren, kalten Leiber auf seinen hilflosen welken Körper setzen und ihm zeigen, wie man einem greisen Zwerg das Herz aus dem Leib reißt.
    Die alte Geissler war die Präsidentin von einem dieser unseligen Charityclubs, wo sich gelangweilte Berufsgattinnen und nimmermüde Geschäftsfrauen den Kopf darüber zerbrechen, wie man sich des Elends bedienen und die eigene schmuckbehangene Person um den Charme verhungernder Kinder bereichern kann. (Das ist der Höhepunkt der Barbarei, nicht der Kolonialismus, nicht die Diktatur, sondern eine Gesellschaft, die ihre Opfer zwingt, sich von ihr beschenken zu lassen. Stellen wir uns doch einmal vor, das Rassenpolitische Amt der NSDAP oder eine von Ehefrauen prominenter SS-Führer gegründete Hilfsgemeinschaft hätte sich der Opfer der Rassenverfolgung angenommen, indem sie etwa Jausenkränzchen für die Hinterbliebenen jener veranstaltet hätte, die den diversen Säuberungen zum Opfer gefallen waren. Oder stellen wir uns vor, derselbe Heydrich, der für die Organisation der Reichskristallnacht verantwortlich war, hätte etwas später dazu aufgerufen, für jene jüdischen Mitbürger zu spenden, die im Zuge der spontanen Demonstrationen um ihre Existenz gebracht worden waren.)
    Und natürlich war die Hammerschmid, die nur ein paar Villen von der Geissler entfernt wohnte, sofort diesem Charityclub beigetreten, beziehungsweise erfüllte sie die Kriterien, um aufgenommen zu werden. Sie war aber bisher nur mit der Vizepräsidentin bekannt geworden und sollte nun auf der Party die Geissler kennenlernen.
    Cheng bat die Hammerschmid, ihn auf diese Party mitzunehmen, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, für den Ernstfall habe er die nötigen Manieren parat und verstehe es auch, sich dem Anlaß entsprechend zu kleiden. Daß er ein Krüppel sei und sein Gesicht an die im Boxsport üblichen Deformationen erinnere, sei nun leider nicht zu ändern, aber ein Sommeranzug von Valentino und zeitgenössisches Sonnenbrillendesign würden dem Betrachter darüber hinweghelfen.
    Die Hammerschmid war natürlich wenig angetan von der Idee, ausgerechnet bei ihrem Antrittsbesuch jemanden wie Cheng im Schlepptau zu führen, andererseits war das ja keine intime Familienveranstaltung, zudem versprach Cheng (mit einer Deutlichkeit, die ihr schon wieder peinlich war), wenn sie einmal an den Türstehern vorbei waren, ihr aus dem Weg zu gehen und nicht extra darauf hinzuweisen, daß er mit ihr, der Hammerschmid, gekommen sei.
    Er werde sich als Kunsthändler mit einem höchst liquiden Kundenstamm in Übersee ausgeben, der von den Skulpturen der Geissler gehört habe und, ja, er gebe es ja zu,

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