Cheng
man eben bloß ein Knochen war mit Fleisch dran und dem bißchen Bewußtsein, das gerade ausreichte, um Depressionen zu haben.
Geisslers Nähe war Straka angenehm, ohne daß er den Grund dafür hätte benennen können (daß sie beide insgeheim ein bißchen schwul waren, war natürlich der allerletzte Gedanke, aber hin und wieder denkt man auch daran). Straka konnte sich vorstellen, daß eine Untersuchung gegen Martins Vater ihre Freundschaft belasten würde, nicht weil Martin seinen Vater so heiß liebte, das nun wirklich nicht, aber mit einer Untersuchung wäre sozusagen die Welt präsent geworden, und im Grunde war es die Welt, die sie aus ihrer Freundschaft heraushielten (ihre berufsbedingten Kontakte erledigten sie mit einer emotionslosen Beiläufigkeit).
Nun war aber ohnehin eine Untersuchung gegen den alten Geissler, noch dazu auf Grund derart dünnhäutiger Behauptungen, ein Ding der Unmöglichkeit, und Straka informierte seinen Vorgesetzten, den Hofrat Preisinger, nur – wie er ausdrücklich betonte – der Form halber über den anonymen Anruf. Preisinger sah kaum auf, winkte ab und murmelte etwas von wegen Lausbubengeschichte. Damit war die Sache erledigt.
Aber nicht wirklich. Denn zwei Wochen später rief der Hofrat den Kollegen Straka zu sich, war freundlicher, als man es von ihm erwarten durfte, und gab Anweisung, nun doch im Fall Lukaschek Nachforschungen anzustellen, allerdings mit größter Diskretion, das sei eine überaus heikle Angelegenheit, Weisung von ganz oben, aber man wisse ja nicht, ob die da ganz oben es sich nicht morgen wieder anders überlegten oder ob dann ganz oben jemand anderer saß, der anderes wünschte, und dann stehe man wie üblich im Regen, es sei ja nichts Neues, daß man sich an ihm, Preisinger, die Hände abwische. Wie alle Hofräte war Preisinger selbstmitleidig wie ein gefallener Engel.
Und weil der Casus eben so überaus heikel war und der Hofrat seine eigenen Leute für prinzipiell unfähig hielt, sollte Straka die Kollegen zunächst einmal aus der Untersuchung heraushalten.
Auch kam eine Exhumierung beim derzeitigen Stand nicht in Frage. Und, wie gesagt, die Angelegenheit sei mit Feingefühl zu bearbeiten, die Personen mit Samthandschuhen anzufassen, man müsse darauf achten, niemandem zu nahe zu treten.
Wie er sich das eigentlich vorstelle, hätte Straka gerne seinen Vorgesetzten gefragt. Aber er schluckte die Frage ungekaut hinunter; es war sinnlos, einen Wiener Hofrat zu fragen, wie er sich etwas vorstelle.
Der Zufall wollte es (zumindest glauben wir das), daß der Staatsanwalt seinen Freund, den Oberstleutnant, zur Geisslerschen Gartenparty einlud. Und das war nun immerhin eine Möglichkeit, den alten Geissler kennenzulernen sowie einige seiner Freunde, die ebenfalls dem Kreis um Lukaschek angehört hatten, alles begeisterte Waidmänner. (Als Gott den Menschen schuf, da war er doch ein wenig unzufrieden. Nicht, daß ihm nicht eine monströse Maschine gelungen wäre, aber wie in der Überlieferung vollkommen zu Recht behauptet wird, wollte er ein Wesen nach seinem Ebenbild schaffen – der übliche narzißtische Antrieb. Dazu kam noch der Spott Luzifers, der behauptete, Gott fehle es am handwerklichen Können, weshalb es ihm nie gelingen werde, ein genauso großes Arschloch zu schaffen, wie er selbst sei. Damit hier kein Irrtum entsteht: Gott war nicht sauer, weil Luzifer ihn in solcher Weise diffamierte, denn eine Mimose war er nun wirklich nicht, eher ein gemütlicher Artist, und die sozusagen hauseigene Blasphemie für ihn kein Thema, nein, was ihn störte, das war der Zweifel an seinen künstlerischen Fähigkeiten. Aber Luzifer und all die anderen Spötter und Zweifler sollten noch staunen, als Gott mit der ihm eigenen ironischen Besessenheit den österreichischen Jäger schuf – tja, und selbst Luzifer, der strengste aller Kritiker, der Gott unentwegt auf seine Mittelmäßigkeit hinwies, kam nicht umhin zuzugeben, daß der österreichische Jäger dem lieben Gott bis aufs dünne Haar glich. Weshalb es nicht verwundert, daß mit der Schaffung des österreichischen Jägers die Bedeutung Gottes immens zunahm, während seinen Kritikern, allen voran Luzifer, zunächst einmal der Wind aus den Segeln genommen war.)
Straka war ohne große Hoffnung auf diese Party gegangen, und nun schien es, als habe sich die delikate Angelegenheit von selbst erledigt. Das offensichtliche Bild war folgendes: Auch die Witwe Lukascheks hatte den alten Geissler im Verdacht
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