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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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gehabt, der Mörder ihres Mannes zu sein, war Geissler in sein Arbeitszimmer gefolgt, um ihn dort mit ihren Vorwürfen zu konfrontieren. Geissler waren die Nerven durchgegangen, und zwar mit einer solchen Vehemenz, daß er in die Lade gegriffen, seine Waffe herausgezogen und diese auf die Witwe gerichtet hatte. Nun befand sich – aus ganz anderen Gründen, die für diesen Fall nicht von Bedeutung waren – der Privatdetektiv Markus Cheng im Zimmer, bis dahin unentdeckt, was sich änderte, indem er seine Stimme erhob, um Geissler zur Einsicht zu ermahnen, was diesen – der sich, wie gesagt, in einem ziemlich angespannten Zustand befand – wiederum derart überraschte, erschreckte, erboste oder was auch immer, daß er die geplante Tötung der Witwe durch seinen eigenen Herzstillstand vereitelte. Wenn auch nicht ganz freiwillig, so doch in idealer Weise.
    Und wie es schien, waren fast alle mit dieser Lösung zufrieden. In der für die Öffentlichkeit bestimmten Version war Primar Geissler, der bekannte und beliebte Bohemien der Wiener Chirurgie, schon seit längerer Zeit schwer krank gewesen, ja, jener Mediziner also, der so vielen Menschen das Leben gerettet hatte, konnte schlußendlich das eigene den Fängen des Todes nicht entreißen, was natürlich tragisch war, aber nichtsdestoweniger ein weiterer Beweis für das geheimnisvolle Prinzip finaler Fairneß.
    Ähnlich wie nach dem Tode Lukascheks gab es auch jetzt ein großes Aufatmen: Madame Geissler atmete auf und entwickelte in der Folge einen weniger aggressiven Stil, auch Martin, der um seines Vaters dunkle Geschäfte wußte, atmete auf und fand, daß Herzversagen der richtige Tod war, um das Kapitel seines Vaters abzuschließen, würdig abzuschließen. Einige Beamte, Politiker und Geschäftsleute atmeten auf, Hofrat Preisinger tat es, ebenso Geisslers alte Freunde (ausgenommen Grobfeld, der aber als Kammersänger in den wirklichen Dingen des Lebens nicht zählte), und auch die Witwe Lukaschek atmete auf, einmal weil sie keine Kugel im Körper hatte, und dann, weil mit Geissler jener Mann abgetreten war, der ihre Mittäterschaft am eindringlichsten hätte bezeugen können. Das Dumme war bloß, daß ihr Lebensretter, Markus Cheng, gleichzeitig der Zeuge ihres Gesprächs mit Geissler gewesen war. Da sie aber in bezug auf einen Giftmord nicht vernommen wurde, ging sie davon aus, daß Cheng geschwiegen hatte. Warum, das konnte sie sich vorstellen. Und als eineinhalb Wochen nach dem Tod Geisslers Markus Cheng in der Tür ihrer Wohnung stand, neben sich Lauscher, bat sie ihn herein und fragte, ohne große Umstände zu machen: »Wieviel?«
    Cheng war erstaunt, nicht über die Frage, die hatte er erwartet, sondern über die Wohnungseinrichtung, die etwas geradezu Schäbiges besaß. Dunkle Räume mit fadenscheinigen Teppichen, die Möbel wie verkohlte Tierleichen, Tapeten, die aussahen, als könnten sie den gebrechlichen Wänden nicht mehr lange standhalten. Auf der Anrichte Vasen, in denen vertrocknete Blumensträuße Staub fingen, dazwischen Fotos von Männern in Weltkriegsuniformen und Frauen, deren Körper in weiße Blusen gesperrt waren. Überall war dieser 4711-Geruch, den alte Menschen verströmen, die nicht sterben wollen und die sich den ganzen Tag darüber beschweren, wie schlecht es ihnen geht und wie gerne sie endlich tot wären. Tatsächlich lebte Frau Lukaschek nun wieder bei ihrer achtzigjährigen Mutter, die – schwerhörig wie Lauscher, der sich auf eine zerschlissene Chaiselongue legen durfte – vor dem leuchtenden, aber schweigenden Fernseher saß. Cheng setzte sich auf etwas, das einmal ein Thonet-Sessel gewesen sein mochte, nahm eine Zigarettenpackung aus der Tasche und bot Frau Lukaschek eine Odyssee an. Dann rauchten beide, schweigend, wie damals in Geisslers Arbeitszimmer.
    Nachdem er die Zigarette ausgedämpft hatte, erklärte Cheng, daß er nicht hier sei, um irgendwelche Forderungen zu stellen. Aus dem Gespräch, das er mitgehört habe, sei nichts wirklich Konkretes hervorgegangen, und erst auf Grund der Information Strakas, daß Lukaschek möglicherweise vergiftet worden war, habe er, Cheng, sich denken können, wie die Sache abgelaufen sei. »Lukaschek und Geissler sind tot«, sagte Cheng, »und ich habe das Gefühl, daß alle sehr glücklich darüber sind. Es liegt mir fern, einer Frau Probleme bereiten zu wollen, nur weil sie sich in gewisser Hinsicht an der Ermordung eines Mannes beteiligt hat, dessen immerwährende Abwesenheit solche

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