Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
enden. In der Wirklichkeit des Films scheint es überhaupt so zu sein, daß Taxis zu nichts anderem als zur Verfolgung dienen.
    Er legte eine Kassette ein (Grateful Dead), setzte eine Sonnenbrille auf, startete seinen Mercedes, bewies eine gewisse Geschicklichkeit beim Überholen anderer Verkehrsteilnehmer, und bald klebte er dem anderen Taxi an der Stoßstange und fragte Cheng, ob er den Wagen von der Straße drängen solle.
    »Lassen Sie es gut sein, keine Übertreibungen«, sagte Cheng. Der Taxifahrer schien unzufrieden, stöhnte seine Enttäuschung heraus (sein Odem war wie eine Warnung, ihn nicht zu sehr zu reizen), nahm Tempo zurück und steckte sich eine Zigarette an.
    Cheng hatte weniger Lust aufs Rauchen, in seinem Hals spielten sich schreckliche Dinge ab, und was immer in seinen Nebenhöhlen vor sich ging, die Leute von der Abwehr standen bis zu den Knöcheln im Schlamm.
    Henry stieg im Hotel Okura-Vienna ab. Cheng bezahlte sein Taxi und setzte sich auf eine Bank am Parkring, von der aus er den Eingang beobachtete. Er schneuzte sich. Sein Auswurf war gelb wie ein praktisches Lehrbuch von Langenscheidt. Ihn fror, obwohl es bereits recht warm war. Dann nickte er ein. Er hatte einen guten, gerechten Traum, in dem andere Leute in Flugzeuge einstiegen und andere Leute abstürzten, während er selbst in einer hohen, begrünten Flughafenhalle stand und mit der Selbstzufriedenheit eines Begräbniskiebitzes die Tragödien verfolgte, die auf der Anzeigetafel aufblinkten.
    Ein Polizist hatte ihn geweckt und in einer merkwürdigen Mischsprache auf was auch immer hingewiesen (eine Art Travestie des Wienerischen mittels englischer Experimentallyrik oder umgekehrt). Cheng erhob sich, sah auf seine Uhr – es waren drei Stunden vergangen. Er wollte in die nächste Straßenbahn steigen, um nach Hause zu fahren und sich auszukurieren, immerhin wußte er ja nun, wo dieser Henry zu finden war. Doch in diesem Moment trat selbiger aus dem Hotel. Sakko und kurze Hose schimmerten dunkelgrün. Seine prächtigen Waden leuchteten rosa im Licht der Mittagssonne. Er sah ausgeruht, gewaschen und tatendurstig aus. Er sah sehr gesund aus. Und es wäre wirklich vernünftig gewesen, wäre Cheng mitsamt seiner spätsommerlichen Nebenhöhlenentzündung in die rettende Straßenbahn gestiegen. Statt dessen nahm er erneut die Verfolgung auf.
    Und landete dort, wo Verfolgungen offensichtlich zu enden pflegen, in der Bäckerstraße. Und natürlich trat Henry ausgerechnet in jenes Lokal, in dem Cheng sich nach Geissler erkundigt hatte. Er hielt es aber für unwahrscheinlich, daß man sich an ihn erinnern würde, um so mehr, da er ohne Lauscher unterwegs war.
    Henry saß an der Bar und unterhielt sich mit einem Jüngling, der mit großer Gelassenheit Biergläser polierte. Geschäftsleute saßen zusammen, jeder grölte kostenintensive Belanglosigkeiten in sein Handy, weshalb Cheng nicht verstand, was Henry Komisches zu erzählen hatte (der Jüngling wieherte pflichtbewußt). Die Kellnerin von damals erschien; Cheng erkannte sie daran, wie sie ihre Jeans zurechtstrich.
    Wo denn sein süßer Hund sei, wollte sie wissen, und auf wen er es diesmal abgesehen habe. Cheng war nun froh über die Geschäftsleute, die sich gerade in ein wahres Crescendo ihrer eingebildeten Bedeutsamkeit steigerten. Trotz seines schmerzenden Halses bestellte Cheng ein Bier, denn ein Tee würde auch nicht wärmer sein.
    Als Henry aufstand und nach hinten ging, wartete Cheng kurz ab, dann folgte er ihm. Henry stand in einem schmalen Gang und telefonierte von einem Automaten. Sein fröhlicher Gesichtsausdruck war einem Blick gewichen, der sich eignete, die Alpträume unbescholtener Bürger aufzurüsten. Als Cheng vorbeiging, vernahm er einen robbenartigen Ton des Mißfallens. Cheng trat in die Toilette und legte sofort sein Ohr an die Tür.
    »Verdammt noch mal, die Sache muß jetzt endlich bereinigt werden«, hörte er Henry sagen. Den Akzent empfand Cheng als britisch. »Also hör zu, alter Freund, es wird Zeit, daß du auch was tust.« Und nach einer Pause: »Na also.« Dann wurde der Hörer aufgelegt, und Cheng vernahm sich nähernde Schritte. Er stellte sich in eine Kabine und verschloß die Tür. Jener, der nun eintrat, plazierte sich in der Nachbarkabine. Cheng bückte sich, und durch den schmalen Spalt konnte er Henrys maßgeschneidertes Schuhwerk erkennen. Er wartete, bis Henry sein Geschäft erledigt und die Toilette wieder verlassen hatte, um nun selbst aus der Kabine

Weitere Kostenlose Bücher