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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Er war nicht wirklich glücklich damit, daß Cheng nach Las Vegas flog. Falls an der Sache etwas dran war, wäre er dort auf sich allein gestellt, beziehungsweise auf das, was nach seinem Sturz von ihm übriggeblieben war. Die Behörden vor Ort würden keinen Finger rühren, um einem invaliden österreichischen Privatdetektiv asiatischer Färbung aus der Patsche zu helfen, viel eher würden sie ihn in diese Patsche stoßen.
    Straka wußte, daß Cheng bezüglich der Witwe Lukaschek etwas verheimlichte, aber es war ihm gleichgültig, und es war sicher besser, wenn er es nicht wußte, also auch nicht gezwungen war, Dinge zu untersuchen, die sich bereits im idealen Zustand der Versteinerung befanden.
    »Passen Sie auf sich auf.«
    »Ich bitte Sie, Straka, was soll mir noch passieren«, sagte Cheng.
    Die beiden umarmten sich, wie Männer das eben tun, ziemlich hilflos, plötzlich im schrecklichen Bewußtsein der eigenen Körperlichkeit. Als er auf die Straße trat, wurde Cheng übel. Er fühlte sich wie ein zum Tode Verurteilter, dessen eigenes Akzeptieren des Urteils so hundertprozentig war, daß man ihn frei herumrennen ließ, damit er sich von allen verabschieden konnte.
    Auch in der folgenden Nacht bereitete sich Cheng mittels Alpträumen auf eine alptraumhafte Wirklichkeit vor. In einem dieser Träume sitzt er in einem amerikanischen Huey-Cobra-Hubschrauber. Um ihn herum großgewachsene weiße und schwarze Männer in verschwitzten Kampfanzügen, deren verzerrte Visagen keinen Zweifel darüber lassen, daß man ihnen während der Ausbildung ihr bißchen Urteilskraft aus dem Schädel geklopft hat.
    Cheng selbst trägt eine österreichische Uniform und würde gerne wissen, was er hier verloren hat. Aber die Typen sehen eben nicht aus, als könnten sie außer Kaugummikauen und Vietcong-Rebellen-Abschießen auch noch Fragen beantworten. Er blickt aus dem Fenster, unter ihnen der vietnamesische Dschungel. Er denkt Wienerwald und Landpartie. Jemand packt ihn an seiner Uniform und reißt ihn zurück. Man stellt ihm einen heißen Topf mit einer kochenden Brühe auf die Schenkel (der Schmerz ist unerträglich, aber trotzdem nebensächlich) und wirft ihm ein Tuch über. Jemand schreit: »Inhale, damned Lauskerl.« Cheng inhaliert, was sollte er auch sonst tun. Ein gewisser Ekel ist unvermeidbar, als er bemerkt, daß nicht bloß Teeblätter, Blüten und Wurzeln, sondern auch kleine Köpfe darin schwimmen, Schrumpfköpfe; Cheng glaubt Geissler und Lukaschek, Ranulph Field und merkwürdigerweise Dean Martin zu erkennen. Cheng will den Kopf heben, den eigenen, aber jemand legt ihm eine Faust auf den Nacken und drückt ihn noch näher an die Schrumpfköpfe heran, so daß Cheng Geisslers Schmiß auf der rechten Wange registriert und Lukascheks auffallend große Ohrläppchen, denen selbst der Schrumpfungsprozeß nichts hatte anhaben können.
    Grelles Licht (der Nachbarhubschrauber ist soeben explodiert) bricht durch das Tuch, und da entdeckt Cheng in der Brühe die Wahrheit. Die Form der Wahrheit ist schwer zu beschreiben, sie liegt irgendwo zwischen der Form der Teeblätter und der Form der Schrumpfköpfe, und es ist unmöglich zu sagen, was sie darstellen soll. Natürlich will Cheng die Wahrheit genau erkennen, weshalb er so nahe herangeht, daß seine Nase zwischen Blüten und Schrumpfköpfen in die noch immer recht heiße Brühe taucht.
    Auch wenn er gewisse Details der Wahrheit nun besser sieht (diese Details wirken abstrakt, zudem verändern sie sich unaufhörlich), so erscheint ihm das Bild der Wahrheit als Ganzes noch diffuser. Cheng ist enttäuscht, daß die soeben entdeckte Wahrheit nichts dazu beiträgt, die Wahrheit zu erkennen, und reißt sich das Tuch vom Schädel. Niemand hindert ihn daran, denn soeben wird der Hubschrauber von einer Sieben-mm-Rakete russischer Bauart getroffen. Cheng wird aus der brennenden Flugmaschine geschleudert und stürzt auf die wildromantische Landschaft zu. Auf seinen Schenkeln klebt noch immer der Topf, und in seinen Ohren dröhnt die wütende Soldatenstimme: »Inhale, Saukerl.«
     
    Am nächsten Tag war er krank. Er fühlte sich wie ein in heißes Wasser eingeweichter Pilz, der nun gequollen und schwammig war und dessen ganze Zukunft darin bestand, in irgendeiner angedickten Soße zu landen. Er fühlte sich wie zwischen zwei Buchdeckel gepreßt, und er fühlte sich wie eine Wasserleiche. Er fühlte sich wie nach einer Umarmung durch eine liebestolle Krake. Sein Hals schmerzte, dazu eitrige

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