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Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
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überleben würde. Die benachbarten Häuser hingegen waren schmuck und gepflegt, ausgestattet mit Gegensprechanlagen, Garagen, Blumenkästen, Einbaufenstern, selbst die sauber geparkten Mülltonnen erfreuten das Auge. Die Gärten erinnerten an das Landschaftsdekor von Modelleisenbahnen. Es war früher Abend, und das Flimmern der Fernsehapparate hinter den Gardinen gab einem das Gefühl, daß die Welt hier in Ordnung war, abgesehen von diesem einen Haus, einem wahren Schandfleck.
    Cheng betätigte die Klingel, obwohl offensichtlich war, daß sie seit Ewigkeiten nicht mehr funktionierte. Er wartete drei, vier Anstandssekunden, dann drückte er die Klinke, doch zu seiner Überraschung war die Gartentür verschlossen. Lauscher, der neben Chengs Füßen beziehungsweise auf dem eigenen Hintern saß, wandte seinen Kopf zur Seite, instinktiv oder wie auch immer, auf jeden Fall kam ihnen da ein Rottweiler entgegen, inklusive dem dazugehörigen Rottweilerbesitzer, ein kleiner, fetter Glatzkopf, der aussah, als hätte er eine gewisse Vorliebe für Mussolini. Eine Karikatur, aber wer ist das nicht.
    Lauscher, im Grunde ein toleranter Hund, hatte wenig für Rottweiler übrig, denen – ohne sie gleich als Schlächter zu bezeichnen – ein gewisser Hang zu gewalttätigen Lösungen nicht abzusprechen ist. Zudem hielt Lauscher sie für wenig intelligent und wenig eigenständig, war doch ihre rowdyhafte Art, überhaupt diese breitschultrige Attitüde dem Menschen abgeschaut.
    Lauscher war nicht ängstlich, sondern vernünftig. Weil der Mensch sich aber schwertut, dem Hund die Vernunft abzukaufen, winselte Lauscher. Nun sah auch Cheng zur Seite.
    Auch der Rottweiler winselte, wohl kaum vor Angst. Was den Herrn Mussolini zu stören schien, weshalb er seinem Hund mit der Leine eins über die Schnauze zog.
    Zu wem er wolle, fragte Mussolini, obwohl es sich nicht wie eine Frage anhörte.
    Cheng hätte dem Kerl, auf dessen polierter Kopfhaut sich das Abendlicht spiegelte, gerne gefragt, was ihn das anginge, aber das wäre kontraproduktiv gewesen, also erklärte er, er suche eine Frau Baumann.
    »Dö oide Kummunistenhur mana’S’.«
    »Die erotischen Präferenzen der Frau Baumann interessieren mich nicht.«
    Die gestelzte Ausdrucksweise Chengs und daß er an einem Märzabend eine Sonnenbrille trug und sich traute, mit einem Köter durch die Gegend zu ziehen, dessen stärkster Muskel sein Ohrmuschelmuskel zu sein schien, verunsicherten den Herrn Mussolini. Er verriet Cheng (dem er weder das Chinesische noch die Behinderung ansah), daß man die alte Baumann, was sie untertags auch immer treibe, nie vor acht Uhr in ihrem Haus antreffe. Mehr wisse er auch nicht, mehr wolle er auch gar nicht wissen, und außerdem müsse er jetzt weiter.
    »Kumm, Winifred.« (Offensichtlich gab es Schlimmeres, als Lauscher gerufen zu werden.)
    Wenn Mussolini recht hatte, so mußte Cheng noch zwei Stunden vertrödeln. Er spazierte ein wenig in der Gegend herum und kehrte schließlich bei einem Heurigen ein. An einem einzigen Tisch saßen ein paar Geschäftsleute, glasige Augen, kleiner Schneefall auf den Schultern dunkler Anzüge, gelockerte Krawatten, sublimer Achselgeruch, neben jedem Weinglas ein Handy. Sie verstummten und maßen mit ihren Blicken den Eingetretenen, als sei das hier eine geschlossene Gesellschaft. Cheng marschierte an ihnen vorbei (wobei sein Hinken kaum auffiel; hin und wieder gelangen ihm ein paar gute Meter) und setzte sich an einen der hinteren Tische. Obwohl der Raum überheizt war, ließ er seinen Mantel an. Auch die Sonnenbrille nahm er nicht ab. Lauscher tat geradeso, als sei er hier zu Hause, legte sich vor einen bis zur Decke reichenden, erbsgrünen Kamin, ließ die Ohren zur Seite fallen und schloß die Augen.
    Cheng zündete sich eine Zigarette an. Sein linker Ärmel steckte in der Tasche, so als sei er jederzeit bereit, eine Pistole hervorzuziehen. Die Wirtin erschien; sie hatte ihre achtzig Kilo in einer sehr ansprechenden Weise über den Körper verteilt. Dem schlafenden Lauscher schenkte sie einen abfälligen Blick, ließ ihn aber in Frieden. Der Blick, den sie Cheng schenkte, war da schon wesentlich freundlicher. Was Cheng überraschte, denn in der Regel verblaßte er neben Lauschers Ohrenattraktion.
    Cheng genoß den monumentalen Anblick der Wirtin (sie erinnerte ihn an jene Gerda, auf deren Schoß er eine denkwürdige Winternacht verbracht hatte). Ihr kräftiger Körper steckte in einem Dirndl und machte sich darin ganz
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