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Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
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so ähnlich sah, »i drah di ham, i reiß dir’n Schädl o, i buhr da a Loch in dei Wampen, i faschier di, i zerdruck di wia a Fliagen, i scheiß di so zua, daß d’a Schläuchl zum Luftholen brauchst, Sauluader du!«
    Die Wirtin nahm ihre Hand aus Chengs Hose, streifte mit beiden Handrücken ihre Schürze zurecht, zog ein Taschentuch aus ihrem Dekolleté, schneuzte sich und meinte: »Führ dich nicht so auf, Egon.«
    Doch Egon fand, daß es jetzt genug sei, zeigte auf Cheng und befahl Winifred, sich diesen Kerl vorzunehmen. Die Hündin knurrte kurz an, sank aber auf einen Wink der Wirtin hin zu Boden und schloß die Augen in der Art einer lebensechten Puppe. Der Wirt schien an seinem eigenen Wutschrei zu ersticken, würgte ihn stückchenweise heraus und holte endlich eine Pistole unter seiner Schürze hervor. Es schien ihm nicht ganz klar zu sein, wen er zuerst erschießen sollte, seinen Nebenbuhler, seine Frau oder seinen Hund, und die Wirtin nützte diese Unsicherheit und schlug ihm die Waffe aus der Hand, als verbiete sie einem ungezogenen Kind eine Süßigkeit. Aber der Wirt gab nicht auf und stürzte sich auf Cheng, packte ihn am Hals und drückte ihm beide Daumen in den Halsmuskel. Mehr im Affekt schnellte Chengs gesundes Bein nach vorn. Seine Kniescheibe drang tief in den vernachlässigten Unterleib. Der Wirt wirbelte herum und schlug gegen ein Faß. Die Wirtin – in Heimatfilmpose die Hände in die Hüften gestützt – verdrehte die Augen und meinte bloß: »Diese dummen Buben.«
    Der Wirt lag am Boden, schrie aber noch immer vom Umbringen.
    Cheng stieg in den Aufzug und drückte den einzigen Knopf. Sehr zu seiner Überraschung ging es abwärts. Auch in dem darunterliegenden Gewölbe waren Doppelliterflaschen gelagert. Cheng verließ den Aufzug. Er hatte wenig Lust zu erfahren, wie tief dieser Keller ging und welche Schrecklichkeiten er barg. Gerade als er ausgestiegen war, fuhr der Aufzug in die Höhe. Cheng wurde langsam nervös, vor allem da er keine Treppe fand, sondern bloß weitere Räume, alle vollgestopft mit Weinflaschen. Erstaunliche Mengen, die bedrohlich wirkten und zu dem kleinen Heurigenlokal nicht passen wollten.
    Nachdem er einige Zeit herumgeirrt war – unsicher, ob er in immer neue Räume trat oder sich im Kreis bewegte –, entdeckte er zwischen zwei Weinregalen einen Mann, der vor einer Staffelei saß. Er blickte über den gebückten Rücken des Mannes, der gerade an einem Querformat arbeitete, bei dem es sich ganz eindeutig um das Schiele-Bild Umarmung handelte. Hinter der Staffelei, gegen das Gemäuer gelehnt, standen weitere Bilder: Klimt, Kokoschka, drei, vier kleinformatige Thönys, ein pastoser Boeckel. Offensichtlich war Cheng auf eine Fälscherwerkstatt gestoßen, was ihm unangenehm war. Das Fälschen war in Wien gewissermaßen ein heiliger Akt, den zu stören zumindest von einem schlechten Benehmen zeugte.
    Auch Cheng, der sich sonst kaum für Kunst interessierte, kannte das Gerücht, daß fünfundneunzig Prozent aller im Besitz der Albertina befindlichen Werke Fälschungen seien (bei den fünf Prozent handelte es sich vor allem um zeitgenössische Künstler, von denen einige keine Lust hatten, sich selbst zu fälschen). Wie lange war es wohl her, daß ein Wiener Händler eine echte Klimt-Zeichnung angeboten hatte? Gab es noch jemanden, der sich daran erinnerte? Ganz zu schweigen von den Aquarellen Rudolf von Alts, bei denen seit zwanzig Jahren ausschließlich Kopien von Fälschungen veräußert wurden. Natürlich, überall auf der Welt gab es Fälscher, aber nirgends wurden sie so sehr geachtet wie in Wien, wo ein Kind darauf stolz sein konnte, wenn sein Vater oder seine Mutter Fälscher waren. Doch bei aller Akzeptanz: Zum Fälschen gehörte, es im verborgenen zu vollziehen, so wie es dazugehörte, daß jeder so tat, Experte wie Laie, als handle es sich bei all den Fälschungen um Originale. Das hatte nun mal Tradition – und dieser schöne Brauch würde erhalten bleiben, da konnten gewisse ausländische angebliche Fachleute protestieren, bis ihnen die Zähne ausfielen.
    Wie gesagt, es gehörte sich nicht, Fälscher zu entdecken und bei ihrer geweihten Arbeit zu stören. Dennoch erlaubte sich Cheng die Frage, ob es hier in der Nähe einen Ausgang gebe. Der Mann drehte sich um, und es zeigte sich, daß er eine Frau war, die gewisse Ähnlichkeiten mit der verschollenen Bürgermeistergattin besaß, aber genausogut an eine stark alkoholisierte Katherine Hepburn erinnerte. Auf
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