Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Werkstätte der Gestapo. Damit gelangte der Mann sicher nach Moskau, denn an ihm hatte die Gestapo nie ein Interesse gehabt.
    Geisslers gute Tat führte zu einem Treffen zwischen ihm und Paul Müller, einem Mitglied des ZK der KPD, der helfen sollte, den kommunistischen Widerstand in Österreich zu organisieren.
    Gerade Müller gehörte zu jenen, die eine Konzentration des Widerstands für unerläßlich hielten. Als er nun Geissler die Hand reichte, stürmte die Gestapo das Zimmer. Im Zuge dieser Aktion flog auch die ganze Geissler-Truppe auf. Maria Baumann wurde verhaftet. Der verhörende Beamte war bestens über sie informiert, auch über ihre Harmlosigkeit. Was weder an ihrer Gestapohaft etwas änderte noch an der Überführung nach Dachau.
    Bezüglich Geissler war sie noch immer mit Blindheit geschlagen und glaubte, er sei – genauso wie Paul Müller – im Zuge des Verhörs ums Leben gekommen.
    Zwei Jahre später war sie noch immer in Dachau inhaftiert. Sie hatte in der Zwischenzeit ein Kind auf die Welt gebracht. Wie und von wem sie schwanger geworden war, darüber sprach sie nicht. Aber man ließ sie mehr oder weniger in Ruhe. Ihr Vater schmierte einige hohe Wiener Nazis, die sich dafür einsetzten, daß man die kleine Baumann, dieses dumme Hendl, das geglaubt hatte, Politik spielen zu müssen, nicht allzu hart anfaßte.
    Schließlich war sie weder Jüdin noch Kommunistin.
    Und da stand sie eines Tages plötzlich vor Geissler – ein SS-Sturmbannführer wie aus der Propagandabroschüre, die nordisch-rassische Auslese. Er war von höchster Stelle beauftragt, eine Studie über die Ausbaufähigkeit sämtlicher Konzentrationslager zu erstellen. Er wirkte auf eine saloppe Weise zackig, mit seiner Tellermütze, seinem Schulterriemen, seinen Marschstiefeln, mit seiner Hakenkreuz-Armbinde, eine Zigarette zwischen den manikürten Fingern, rasiert und parfümiert, zufrieden angesichts seiner bedeutenden Aufgabe, und lächelte sie an, als befinde man sich nicht in einem Konzentrationslager, sondern auf einem sonntäglichen Spaziergang im Prater. Ein Dandy in Uniform, der den Mädchen auf die Beine sieht.
    Und dieser Dandy meinte nun, Dachau habe ihr offensichtlich gutgetan, natürlich bezogen auf ihr Äußeres, sie sehe reizend aus, nicht mehr so spießig wie früher. Er lachte und fand es geradezu herrlich, daß man einander wieder begegnet sei. Maria glaubte, einen Geisteskranken vor sich zu haben. Kein Wort über die Widerstandsgruppe oder über die Sache mit Paul Müller. Sie würde nie erfahren, ob Geissler von Anfang an für die Nazis gearbeitet oder sich erst mit der Zeit entschlossen hatte, Karriere zu machen, indem er den Gestapoleuten Müller servierte. Geissler meinte, daß man das Wiedersehen unbedingt feiern müsse, und bat Maria in sein Quartier. Er fand die ganze Konstellation überaus reizvoll. In solch vergnügter Stimmung wollte er ihr nun auch noch die Gunst seiner Manneskraft erweisen. Aber sie weigerte sich. Zuerst sah Geissler sie streng an, dann lachte er wieder und meinte, sie solle nicht bockig sein, bloß wegen dieser Geschichte damals. Sie sagte ihm, es sei nicht nur das, was er diese Geschichte nenne, sie finde ihn prinzipiell abstoßend, auch ohne den Verrat, auch ohne den Umstand, daß er die Uniform von Mördern trage, daß er selbst ein Mörder sei. Natürlich war es verrückt, ihm das zu sagen, immerhin hatte sie ein Kind, immerhin hatte sie ein Leben, das vielleicht zu retten war. Der gute Geissler gehörte zu jenen Ausgeburten, die sich für unwiderstehlich hielten und jeden Zweifel daran ausradierten. Aber Maria erklärte, er müsse sie schon vergewaltigen, freiwillig gebe sie ihm nicht einmal ihren kleinen Finger. Mein Gott, das mit dem kleinen Finger war so eine Phrase. Aber Geissler stürzte sich darauf und glaubte Maria Baumann dadurch bestrafen zu müssen, daß er ihr am nächsten Tag – natürlich nicht wie ein Schlächter, sondern mit allem Geschick des Operateurs und mit freundlicher Genehmigung des Lagerarztes – den kleinen Finger amputierte. Er empfand das als eine originelle Methode, seine Macht zu demonstrieren. Geissler war immer sehr um Originalität bemüht gewesen. Was er eben so darunter verstand.
    Ein halbes Jahr später entließ man Maria Baumann. Ihr Vater hatte den Sohn eines hohen SS-Bürokraten zum Direktor seines Unternehmens gemacht, einen unfähigen Schwadroneur. Dafür hatte der alte Baumann seine Tochter gehaßt. Für die Schande, für die Schmach, für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher