Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)
ich unterdrückte ein Niesen. Ich wunderte mich darüber, ihn aus dieser Entfernung wahrzunehmen. Sollten meine Sinne tatsächlich schärfer werden, oder stand der Wind einfach gerade günstig?
V erstohlen traten wir auf die Straße und liefen in Richtung unseres Volvos, als mir auffiel, dass jemand auf der anderen Straßenseite den Wagen observierte. »Wäre es möglich, dass die Hagedorn uns über dein Nummernschild gefunden hat?« Meine Frage hing wie ein Damoklesschwert über uns. Lennox wurde langsamer und beobachtete den Mann auf der anderen Straßenseite. Auch ich blieb schließlich stehen. Der Wagen stand noch ungefähr achthundert Meter von uns entfernt. Lennox drehte sich kurz zu mir um und fluchte leise.
»Mein Laptop ist da drin, und mein Handy. Scheiße!«
Er nahm meine Hand und wechselte die Richtung. »Wir nehmen die U-Bahn.«
Der Wind pfiff um die Häuserecken, ich zog meine Schultern hoch und versuchte, das Zittern zu unterdrücken. Mir war entsetzlich kalt. Der Mond stand hoch am klaren Nachthimmel. Es war bestimmt schon mindestens zwei Uhr morgens und mir wurde meine Müdigkeit bewusst. Doch Lennox’ Griff um meine Hand war hart und unerbittlich. Er zog mich beschleunigten Schrittes unnachgiebig weiter und ich stolperte lustlos hinterher.
»Wo gehen wir denn jetzt überhaupt hin? Wenn du einen Plan hast, würde ich ihn gerne hören.« Mir wurde das alles langsam zu viel. Warum ließ mein Vater sich nicht auch persönlich hier blicken, oder schickte einen Helikopter oder sonst was? Warum war das alles so kompliziert und verworren? Ich war langsam, aber sicher hundemüde und gereizt.
»Wir fahren jetzt zu einer alten Bekannten von mir, sie schuldet mir noch was. Dort ruhst du dich aus und morgen sehen wir weiter.« Lennox sah sich nicht nach mir um, sondern lief stur weiter. Ich nickte nur schwach, was er sowieso nicht sah, da er den Blick weiter geradeaus gerichtet hatte. Als wir endlich in die U-Bahn-Station eintauchten, konnte ich meine Füße kaum noch spüren.
Es war vollkommen menschenleer da unten. Die bläuliche kalte Bahnsteigbeleuchtung ließ Lennox noch blasser erscheinen als sonst. Ich setzte mich auf eine der Bänke und rieb mir über die Arme, in der Hoffnung, etwas Wärme zurück in meine Glieder zu bringen. Lennox sah besorgt auf mich herunter und kniete sich vor mich. »Ich werde jetzt nach einem Fahrplan suchen, damit ich weiß, wann die nächste U-Bahn in unsere Richtung geht, und dir etwas zu trinken besorgen. Keinen Sekt sicherlich, aber eine Cola oder ein Kaffee wird dir sicherlich guttun. Weiter oben habe ich einen Automaten gesehen.« Er sprach sanft und strich mir dabei eine verirrte Strähne hinter mein Ohr.
»Das wäre schön«, antwortete ich matt. Mir zuzwinkernd wandte er sich ab und ging. Einige Sekunden später war er verschwunden.
Müde sah ich in die Reflektion einer Werbetafel und musterte mich. Meine Haare schienen hell und die dunklen Augen blickten mir klagend entgegen. Während ich meine Stiefel musterte ließ mich ein Schlurfen und Klappern aufhorchen, das näherkam. Unbehaglich versuchte ich, mich auf meiner Bank kleinerzumachen und starrte angestrengt in die Richtung, aus der die Geräusche zu kommen schienen. Das würde auch noch fehlen, wenn meine Verfolger hier unten auftauchen würden. Aber würden sie solch einen Krach verursachen? Die Werbetafel versperrte mir die Sicht. Das Tapsen und Schlurfen wurde lauter und eine Gestalt bog um die Ecke. Es war ein alter Mann, ein Obdachloser, der sein ganzes Hab und Gut mit sich herumschleppte. Erleichtert atmete ich aus und setzte mich wieder gerade hin.
Der Alte schob die löchrige Mütze auf seinem zerzausten Kopf zur r echt und sah mich erstaunt an.
»Oh, besetzt.« Er deutete auf die Bank, lächelte ein wenig und entblößte dabei einen gelben hervorstehenden Zahn. »Nein, nein«, versuchte ich mich zu beeilen. »Sie können ruhig die Bank haben.«
Der Alte tat mir leid in seiner gekrümmten Greisenhaltung und seiner ungesunden fahlen Gesichtsfarbe. Er schien auch zu frieren, denn er zitterte leicht und ich machte mich müde ans Aufstehen , um ihm Platz zu machen .
»Lass nur, Kindchen, ich nehme eine andere Bank.« Er sah mich zögerlich an , als würde er über ein Rätsel nachdenken . »Du solltest nicht so spät alleine hier unten sein.« Milde lächelnd wandte er sich ab, um sich gleich darauf mir noch einmal zuzuwenden. Zögerlich kam er wieder einige Schritte näher heran. Er legte den
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