Cherubim
selbst.
Maria krümmte sich und umklammerte den Kopf, als stürme eine neue Erinnerung auf sie ein. Ein leises Röcheln entrang sich ihrer Kehle. »Juden sind auf alle Ewigkeit verdammt!«, flüsterte sie mit verstellter, schriller Stimme, und wieder richteten sich an KatharinasKörper die Haare auf. »Weil sie unseren Herrn Jesus Christus ermordet haben.« Sie verstummte, wiegte sich vor und zurück wie ein kleines Kind. Dann sprach sie weiter, die Stimme immer noch hoch und schrill: »Du solltest dankbar sein, dass wir dich durch die Taufe vor der Verdammnis errettet haben, du undankbares Gör! Also hör endlich auf zu flennen und verbanne diese unseligen Gedanken aus deinem Kopf!« Sie wiegte sich schneller und schneller, bis Katharina es nicht mehr mit ansehen konnte. Bis sie von der Bettkante aufsprang, zu Maria hinüberging, sich vor ihr niederkniete und sie an sich zog.
Marias Körper war steif wie ein Brett, ihre Augen hatten sich nach hinten gekehrt, so dass unter den halb herabgesunkenen Lidern nur noch Weiß zu sehen war. Es war ein unheimlicher Anblick.
Und dann, so übergangslos, wie Maria angefangen hatte zu schaukeln und zu phantasieren, hörte sie wieder damit auf. Es war, als wache sie aus einem bösen Traum auf. Sie hielt mitten in der Bewegung inne, verharrte einen Moment lang regungslos in Katharinas Armen und machte sich dann daraus frei, indem sie den Oberkörper nach hinten bog.
Katharina ließ sie los und wich auf den Knien ein Stück zurück, um Maria ins Gesicht sehen zu können. Die Hure war bleich, aber ihre Augen hatten sich wieder nach vorn gekehrt. »Ich möchte beichten gehen!«, hauchte sie.
Katharina dachte an ihre eigenen Erfahrungen mit der Beichte. Seitdem der Priester sie einmal mit hasserfüllter Stimme abgekanzelt und ihr die Absolution verweigert hatte, war sie nie wieder in einer Kirche gewesen. Gegen ihre melancholia hatte die Beichte ohnehin nie geholfen, und dementsprechend zweifelte Katharina jetzt auch, ob sie Maria gegen ihre Ängste würde helfen können.
»Ich möchte beichten«, murmelte Maria ein weiteres Mal.
Und da fasste Katharina einen Entschluss. Wenn sie schon das Bedürfnis hatte, sich einem Priester anzuvertrauen, dann sollte es vielleicht einer sein, der sich selbst mit inneren Dämonen auskannte.
»Kennt Ihr Bruder Johnnes?«, fragte sie darum.
Maria schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, dass er regelmäßig in der Katharinenkirche die Beichteabnimmt. Vielleicht solltet Ihr ihn aufsuchen. Soweit ich weiß, ist er morgen Abend dort. Er ist ein verständiger, guter Mann.«
Maria schniefte, und ganz kurz schien wieder das kleine Kind durch die Maske der erwachsenen Frau hindurch. »Ich habe Angst«, gestand sie.
Katharina war nicht klar, wovor genau sie Angst hatte, aber das war auch völlig unwichtig. »Ich weiß«, sagte sie leise. »Geht zur Beichte! Ihr erkennt Bruder Johannes an seinen Haaren. Sie sind schütter und stehen ihm immer ein bisschen unordentlich um die Ohren herum ab.«
»Könnt Ihr nicht mitkommen?«
Diese Bitte weckte in Katharina eine sofortige Abwehr. Sie wollte keinen Fuß mehr in einen Beichtstuhl setzen, dachte sie, und gleich darauf und nur ganz zaghaft war da ein anderer Gedanke, weit hinten in ihrem Geist.
Und du spielst allen Ernstes mit dem Gedanken, ins Kloster zu gehen?
Doch sie schob diese boshafte Stimme zur Seite und konzentrierte sich auf Maria, deren Blick jetzt voller Hoffnung auf ihr ruhte.
Sie spürte das Seufzen, bevor es durch ihre Kehle in die Höhe stieg. »Also gut«, willigte sie ein und fragte sich, was zum Teufel sie hier eigentlich tat. Es ist für Heinrich, redete sie sich ein. Um seinen Mörder finden zu können. Doch in ihrem Innersten wusste sie, dass das nur ein Teil der Wahrheit war. Tatsächlich hoffte sie, ihre eigenen Dämonen dadurch zu bekämpfen, dass sie Maria gegen die ihren half. »Wenn Ihr wollt, können wir uns morgen dort treffen.«
Maria wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und nickte. Schon wieder schwammen ihre Augen in Tränen, doch diesmal schluckte sie sie herunter. Dann stand sie auf. »Ich weiß gar nicht, womit ich Eure Hilfe verdient habe«, murmelte sie. »Ich kenne nicht einmal Euren Namen.«
»Katharina«, sagte Katharina.
Ein schwaches, sehr trauriges Lächeln glitt über Marias Gesicht. »Katharina. Du hast eine mächtige und kluge Schutzheilige, weißt du das?«
Offenbar war die Nennung ihres Vornamens Grund genug gewesen,dass Maria zum vertrauten
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