Cherubim
Du überging. Katharina versuchte zu ergründen, ob sie das störte, aber das tat es nicht. Heinrich hatte sie geduzt. Warum nicht auch Maria?
Die Hure wandte sich der Tür zu. »Dann sehen wir uns morgen in der Kirche?«
Katharina nickte, und wieder lächelte Maria. »Du bist eine wahrhaftig heiligmäßige Frau, weißt du das?« Mit diesen Worten ging sie, und sie ließ Katharina nachdenklich und voller Selbstzweifel zurück.
Die Arbeit des Tages war anstrengend und nervenzehrend gewesen, und so war Gernot Silberschläger froh, als er bei Einbruch der Dunkelheit endlich in sein Heim zurückkehren konnte, wo ihn Richhild, seine Gattin, mit einem zärtlichen Lächeln empfing und ihm Mantel und Hut abnahm.
Richhild hatte vor langem schon begriffen, dass er nicht gern redete, wenn er aus dem Rathaus heimkehrte. So folgte sie ihm schweigend in die Wohnstube, wo bereits ein Glas Branntwein für ihn eingeschenkt auf dem reich verzierten italienischen Tischchen stand, das ihm seine Schwiegereltern zum Hochzeitstag geschenkt hatten.
Er nahm das Glas, trank einen tiefen Schluck und ließ sich mit einem wohligen Seufzen in seinen Lieblingslehnsessel fallen. Den Kopf gegen die Rückenlehne gestützt, schloss er die Augen und gestattete sich einen Moment der Entspannung.
Als er die Augen wieder öffnete, saß Richhild auf ihrem Platz und hatte eine Stickerei zur Hand genommen. Seit ein paar Tagen arbeitete sie an dem Bildnis eines fuchsroten Jagdhundes, der eine tote Stockente im Maul trug. Die Augen des Hundes und ein Teil seiner Schnauze waren bereits fertig, und sie wirkten so lebendig, dass Silberschläger zum wiederholten Male dachte, eigentlich könne Richhild ihre Kunstfertigkeit auch nutzen, um ihnen ein kleines Zubrot zu verdienen.
Natürlich sagte er ihr nichts von diesen Gedanken.
Um nichts in der Welt würde er seiner Frau gegenüber zugeben, dass sie in Geldnot waren. Die Ausgaben, die nötig gewesen waren, um ihn zum Bürgermeister zu machen, die unzähligen Abendeinladungender wichtigsten Nürnberger Bürger und die heimlich getätigten, aber üblichen kleinen und größeren Geschenke hatten ihn nahe an den Rand des Ruins getrieben. Dazu kamen noch die Zinsen, die der Geldverleiher dafür verlangte, dass er auf die Rückzahlung des beträchtlichen Darlehens geduldig wartete.
Silberschläger seufzte, als er an all diese Dinge dachte, und er konzentrierte sich darauf, wie er sich diese Schulden bald vom Hals schaffen würde. Soweit Eberlein ihm berichtet und soweit er selbst es bei einem Spaziergang durch Nürnberg erkundet hatte, hatte der Leichenfund im Sebaldusgrab die Bürger in Unruhe versetzt.
Gut so!
Silberschläger nahm noch einen Schluck Branntwein. Es war teure Ware, aus Paris geliefert von einem Händler, der mit dem Bürgermeister befreundet war und der ihm den fälligen Betrag dafür stets anschrieb. Der Mann hoffte, dass der Bürgermeister sich über kurz oder lang für ihn beim Stadtrat einsetzen und dafür sorgen würde, dass er die Erlaubnis bekam, ein brachliegendes Grundstück zu bebauen, das ihm gehörte. Dummerweise führte die Lochwasserleitung genau unter diesem Grundstück entlang, und das war für den Stadtrat Grund genug, die Baugenehmigung niemals zu erteilen. Doch das wusste der Weinhändler nicht, und Silberschläger dachte nicht daran, es ihm zu verraten. Er hatte keine Lust, in Zukunft billigen Nürnberger Fusel zu trinken.
Ein leichtes Lächeln glitt über Silberschlägers Züge. Er fand zunehmend Gefallen an all den Intrigen, die er spann.
»Du scheinst zufrieden mit dem heutigen Tag zu sein«, sagte Richhild, ohne den Blick von ihrer Stickerei zu heben. Manchmal fragte Silberschläger sich, ob sie seine Gefühle auf irgendeine zauberische Weise spüren konnte. Sie schien stets genau zu wissen, was er dachte.
Aber natürlich war der Gedanke an Zauberei in seinem Haus völlig abwegig!
Seine Richhild war eine fromme, gottesfürchtige Frau, die jeden Tag einmal zur Messe ging, die nur an hohen Feiertagen Fleisch zu sich nahm und die den Armen spendete, wo sie nur konnte. Wobei Silberschläger auf letztere Ausprägung ihrer Frömmigkeit nur allzugern verzichtet hätte.
»Es sind ein paar gute Dinge passiert«, antwortete er ihr.
Sie fragte nicht nach. Sie fragte nie nach, und das war ein weiterer Punkt, den Silberschläger an ihr so schätzte. Bei Gott und allen Heiligen, er hatte wirklich Glück gehabt mit dieser Frau!
Er sah Richhild an und lächelte ihr zu.
Sie hob
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