Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
kurz den Blick, lächelte zurück. Sie hatte ein kleines herzförmiges Gesicht, in dem die Nase ein wenig zu lang war und die Lippen ein wenig zu schmal. Aber ihr Haar fiel ihr in vollen hellblonden Locken in die Stirn, und wenn sie es bürstete, erinnerte sie Silberschläger immer ein bisschen an die Statue der Heiligen Jungfrau in der Lorenzkirche, die er ab und an besuchte.
    In Richhilds Augen lag jene Hingabe und Dankbarkeit, die er so zu schätzen gelernt hatte.
    Sie hatte allen Grund, dankbar zu sein!
    Das Lächeln auf seinen Zügen verblasste, und er versuchte, es festzuhalten. Es gelang ihm nicht. Er spürte, wie sich in seiner Brust ein Knoten aus Missmut und Anspannung bildete, der durch Richhilds bloßen Anblick stärker und stärker wurde.
    Aus diesem Grund war er froh, als Greta, die Dienstmagd, an die Tür klopfte und schüchtern ihren Kopf ins Zimmer steckte. »Da ist eine ... Frau«, meldete sie. »An der Hintertür. Sie will den Herrn sehen.«
    Richhild war in Begriff aufzustehen, aber Silberschläger kam ihr zuvor. Bevor sie ihre Stickerei zur Seite gelegt hatte, stand er bereits, beugte sich über seine Frau und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. Ihre Haare rochen nach Mandelöl, das er so sehr liebte, doch selbst das vermochte nicht, den Knoten in seinem Innersten zu lösen. »Lass ruhig! Ich gehe nachsehen. Vielleicht nur eine fahrende Händlerin, die uns irgendwelche Bürsten anbieten will.«
    »Wenn es so ist«, sagte Richhild und nahm ihre Nadel wieder zur Hand, »dann wimmele sie ab. Wir haben genug Bürsten.«
    »Mache ich.« Silberschläger folgte Greta über den Flur und zur Hintertür, die direkt neben dem Treppenabgang zur Küche auf einen kleinen Hof führte.
    Die Frau, die Greta angekündigt hatte, war keine fahrende Händlerin.
    Silberschläger kniff missbilligend die Augen zusammen, als er ihren ausladenden, mit gelben Flicken versehenen Rock sah. »Was suchst du denn hier?«, herrschte er die Frau an. »Ich habe dir doch verboten hierherzukommen! Das ist mein Privathaus, du dumme Gans!« Er warf einen Blick über die Schulter zurück, doch zu seiner Erleichterung hatte Greta sich bereits davongestohlen. Er unterdrückte ein Seufzen. Jetzt würde er die Kleine entlassen müssen, und das, obwohl es ihm bisher nicht gelungen war, mehr als eine Hand unter ihren Rock zu bekommen. Aber es war undenkbar, sie noch länger im Haus zu behalten, jetzt, da sie gesehen hatte, welchen Umgang er pflegte.
    Wütend starrte er die Hure auf seiner Hintertreppe an.
    Die starrte gleichmütig zurück. »Es ist wichtig«, sagte sie. »So wahr ich Sibilla heiße.«
    »So rede schon!«
    Silberschläger hatte Sibilla über den Flur zu seinem Privatkontor geführt und dabei sorgfältig darauf geachtet, dass weder Greta noch Richhild bemerkten, wen er da in sein Allerheiligstes ließ.
    Jetzt stand er breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen mitten im Raum und hatte das Kinn herausfordernd vorgereckt.
    Sibilla schien es nicht eilig zu haben. Sie schaute sich in aller Ruhe um, besah sich die Möbel und die Bücher, die in einem Regal neben der Tür standen. Dann erst heftete sie den Blick auf Silberschläger. »Ihr wolltet informiert werden, wenn es in meinem Viertel Anzeichen für Leichenzauberei gibt.«
    Schlagartig vergaß Silberschläger seinen Unmut darüber, dass Sibilla es gewagt hatte, ihn zu Hause aufzusuchen. »Und?«
    Sie lächelte knapp. »Es gab welche.«
    »Herrgott noch mal!«, rief Silberschläger aus und warf die Arme in die Luft. »Nun rede endlich, Weib!«
    Da setzte sich Sibilla auf einen der lederbezogenen Stühle, die Silberschläger Geschäftspartnern anbot, wenn sie zu ihm kamen. »Heute Vormittag wurde ich in die Krumme Diele gerufen, um mir ein totes Kind anzusehen. Es war ein Engelchen.« Sie hielt Daumen und Zeigefinger ein knappes Stück voneinander entfernt, um anzuzeigen, wie klein das Kind noch gewesen war.
    Silberschläger schluckte. Er kannte den Ausdruck »Engelchen«, mit dem Weiber wie Sibilla ein ungeborenes, totes Kind bezeichneten. Voller Unbehagen spürte er den Blick der Hure auf sich ruhen.
    Natürlich erinnerte sie sich noch ebenso gut wie er, warum er so gut über Engelchen Bescheid wusste. Das Lächeln auf ihren Zügen vertiefte sich, und Silberschläger verspürte das Bedürfnis, es ihr mit der flachen Hand aus dem Gesicht zu wischen.
    Mühsam nur beherrschte er sich. »Und?«, fragte er.
    »Nun, der Mann, der mir dieses Kindchen gezeigt hat«, fuhr

Weitere Kostenlose Bücher