Cherubim
wieder erlauben würde. Richard hingegen – wer wusste schon, welche Absichten er hegte?
Sie seufzte und beschloss, für eine Weile so zu tun, als spiele sie tatsächlich mit dem Gedanken, ins Kloster zu gehen. »Was wäre dann mit dir?« Sie setzte sich zu ihrer Mutter auf die Bettkante.
Mechthild rümpfte die Nase. »Ich habe schon ein paarmal mit Ludmilla darüber gesprochen, wie ich dir nicht länger zur Last fallen könnte.«
»Du fällst ...«, wollte Katharina widersprechen, aber ihre Mutter legte ihr eine Hand auf den Unterarm und brachte sie damit zum Verstummen.
»Nicht nötig, eine Lüge auszusprechen, Kind! Wir haben uns seit langem voneinander entfernt, und wenn die Ereignisse vom August nicht passiert wären, wärst du heute nicht gezwungen, mit deiner kranken Mutter in diesem Loch hier zu hausen. Ich weiß, dass ich dir zur Last falle. Du bist kaum ein paar Minuten hier, schon verblasst das Leuchten in deinen Augen. Ich kann es sehen. Du möchtest Menschen helfen, aber ich gehöre nicht zu den Auserwählten, denen dein Herz gehört.«
Katharina dachte an Maria und die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich ihr, einer Hure, zugewandt hatte. Es war so widersinnig: Sie hatte keinerlei Angst davor, sich den Unberührbaren zu widmen, den Ehrlosen und Aussätzigen. Aber wenn sie ihre Mutter ansah, verspürte sie diesen furchtbaren Widerwillen. Sie hatte keine Erklärung dafür. »Mutter, ich ...«
Mechthild nahm die Hand von Katharinas Arm und legte ihr die Finger auf den Mund. »Scht! Jetzt rede ich! Ich bin dir nicht böse, auch wenn es weh tut, diese Wahrheit auszusprechen. Ich habe mir immer gewünscht, dass das, was ich alles für dich getan habe, einmal Früchte trägt. Dass du mich, wenn schon nicht mit liebenden Augen, so doch wenigstens mit respektvollen ansehen kannst. Aber ich habe gelernt zu akzeptieren, dass ich vergebens hoffe. Ludmilla versucht, mir einen Platz im Heilig-Geist-Spital zu besorgen. Ich überlege ernsthaft, dort einzuziehen. Und dein Eintritt ins Kloster wird mir die Tür dort bestimmt ein bisschen weiter öffnen.«
Die Worte ihrer Mutter brannten in Katharinas Seele, weil sie so wahr und so grausam waren. Katharina musste schlucken, bevor sie etwas sagen konnte, und das Einzige, was ihr einfiel, war: »Wie willst du das Wohnungsgeld aufbringen?« Sie hasste sich dafür, besonders, als sie die Traurigkeit sah, mit der Mechthild auf diese Worte reagierte.
Das Heilig-Geist-Spital war eine Stiftung reicher Nürnberger Bürger, die mittellosen älteren Leuten ein Dach über dem Kopf geben sollte. Doch die Zuteilung der kostenlosen Plätze war strikt geregelt, und wenn man das strenge Auswahlverfahren beschleunigen wollte, musste man sich mit einem Geldbetrag einkaufen. Dieser Betrag war zwar nur gering, aber Mechthild besaß keineneinzigen Heller. Katharina dachte an die Geldbörse unter ihrer Matratze. Dort bewahrte sie die Münzen auf, die sie vor dem August von ihren Patientinnen erhalten hatte. Viel war von ihnen nicht mehr übrig, und auf keinen Fall reichte es für das Wohnungsgeld.
»Ich kann zwar nicht laufen«, antwortete Mechthild. »Aber ich kann sitzen. Also werde ich spinnen. Ludmilla meinte sogar, vielleicht gibt es eine Möglichkeit, mich in der Küche nützlich zu machen. Gemüse putzen kann man ebenfalls im Sitzen!«
Katharina wiegte den Kopf. »Ich weiß nicht.« Die Vorstellung, dass ihre Mutter im Heilig-Geist-Spital hockte und für ihren Lebensunterhalt sponn, bis ihre Finger bluteten, war ihr erstaunlich zuwider, auch wenn ihr Herz zu klopfen begann allein bei dem Gedanken, dass sie sich dann nicht mehr um sie kümmern musste.
»Einerlei, was du denkst!«, fuhr Mechthild auf. »Wir müssen uns ein bisschen beeilen mit der Entscheidung. Danke Gott für die glückliche Fügung mit dem Angebot der Priorin!«
Katharina war nicht ganz klar, was sie meinte, und fragend schaute sie ihre Mutter an.
»Ich meine, dass wir in zwei Wochen aus dem Henkershaus ausziehen müssen«, erklärte Mechthild. »Vorhin waren zwei Büttel mit einer Nachricht vom Stadtrat da. Ludmilla hat aufgemacht. Sie lassen uns ausrichten, dass in zwei Wochen der neue Henker seinen Dienst beginnt und dass dann das Haus gebraucht wird.«
Katharina legte den Kopf in den Nacken und schloss für einen Moment die Augen. In zwei Wochen bereits würden sie auf der Straße sitzen. Sie hatte gehofft, noch ein wenig länger Frist zu haben. Sie fühlte, wie die Zukunftsangst ein leichtes
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