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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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tauschten ein paar Worte, dann stellten sie sich wieder so hin, dass jeder in die entgegengesetzte Richtung blickte.
    Richard musste schmunzeln, als er sah, wie sie dastanden, die Oberkörper hoch aufgerichtet und geradeaus blickend, als würde ein möglicher Brunnenvergifter ihrer Aufmerksamkeit entgehen, wenn sie sich nicht wie eine hochherrschaftliche Garde gebärdeten.
    Und einer von ihnen plusterte sich nun sogar noch ein wenig weiter auf. Er legte die Hand an den Schwertgriff und zog die Klinge eine Handbreit aus der Scheide. Im selben Moment fiel Richard die dunkle Gestalt auf, die sich aus einer Gasse näherte. Sie ging mit schnellen, geschmeidig wirkenden Schritten, und sie hatte die Kapuze ihres dunklen Umhangs tief in das Gesicht gezogen.
    »Wer da?«, rief der Wachmann. »Im Namen des Stadtrates, gebt Euch zu erkennen!«
    Der Schritt der dunklen Gestalt stockte. Obwohl sie leise sprach, konnte Richard ihre Stimme über die Entfernung hinweg verstehen. »Packt euch!«
    Richards Schmunzeln verwandelte sich in ein Grinsen, denn natürlich erkannte er die Stimme. Der Mann in dem schwarzen Umhang war Arnulf.
    »Ihr ...«, setzte der Wächter an, doch Arnulf kam ihm zuvor. Er hob die Hände zum Kopf und streifte die Kapuze auf den Rücken.Sein Gesicht lag im Dunklen, weil er inzwischen so nahe an den Brunnen getreten war, dass eine der Fackeln hinter ihm stand. Doch Richard brauchte nicht viel Phantasie, um sich den Gesichtsausdruck des Nachtraben vorzustellen: eine Mischung aus spöttischem Funkeln in den Augen und einem harten Zug um den Mund, was die meisten Menschen, die mit ihm zu tun hatten, vorsichtig werden ließ.
    So war es auch bei der Wache. »Des Nachts darf der Brunnen nicht mehr benutzt werden«, sagte der Mann, und er klang jetzt weitaus weniger herausfordernd als noch eben.
    Arnulf schwieg einen Augenblick, und Richard vermutete, dass er es um der Wirkung willen tat. Dann streifte er die Kapuze wieder über sein glattes schwarzes Haar, das er zu dem für ihn so üblichen Zopf gebunden hatte. »Sehe ich aus wie ein dreckiger Jude?«, fragte er, und er sprach die beiden letzten Worte exakt mit derselben Betonung aus, die der selbsternannte Prediger von neulich benutzt hatte. Der Wache entging der ironische Tonfall von Arnulfs Worten völlig. Der Mann wich einen Schritt zurück und gab dem Nachtraben den Weg frei. »Nein. Ihr dürft passieren!«
    »Vielen Dank!« Arnulf senkte den Kopf zu einem Nicken, das nur auf völlig Unbedarfte dankbar gewirkt hätte. Sogar aus der Entfernung konnte Richard sehen, wie sehr er sich über den Mann vor seiner Nase lustig machte.
    Dann ließ Arnulf die Wache stehen und steuerte direkt auf Richards Haus zu.
    »Was für Trottel!«, sagte er, kurz nachdem Richard selbst ihm die Tür geöffnet und er im Flur seinen Umhang abgelegt hatte.
    Richard schmunzelte. »Die Bürgerwehr meinst du?«
    »Wen sonst?« Arnulf blickte ihn von oben bis unten an.
    »Das sind arme Kerle«, meinte Richard und bat den Nachtraben in sein Kontor. »Sie haben von Tuten und Blasen keine Ahnung, aber sie fühlen sich stark mit dem Schwert an der Seite.«
    »Das sind die gefährlichsten!«, behauptete Arnulf, während er sich setzte.
    »Wahrscheinlich.« Richard ging zu einem kleinen Tisch, auf dem er einen Krug mit Wein und eine Reihe Zinnbecher stehen hatte. Ergoss sich und dem Freund ein, dann reichte er Arnulf einen der Becher. »Was führt dich zu mir?«
    Aber Arnulf war noch nicht fertig mit den beiden Wachen. »Sie glauben allen Ernstes, dass die Juden ihre Brunnen vergiften wollen!« Er schüttelte mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Ärger den Kopf.
    Richard zuckte die Achseln. Er setzte sich seinerseits, trank einen Schluck und balancierte den Becher dann auf dem rechten Knie. »Sie wissen es einfach nicht besser.«
    »Jeder weiß, dass der Irre, der die Brunnen im August vergiftet hat, ein Christ war.« Es war bereits das zweite Mal, dass sie über die Ereignisse im August sprachen, aber jetzt erst wurde Richard wirklich bewusst, dass Arnulf sich die Entscheidung der meisten Nürnberger Bürger zu eigen gemacht hatte, den Namen des Engelmörders nicht zu nennen. Es war, als läge ein einziger großer Bann über ihm, der ihn nach seinem Tod, den er als gerechte Strafe für seine Untaten erhalten hatte, auch noch aus dem Gedächtnis der Stadt tilgen sollte.
    Richard zuckte die Achseln. »Verrückte Christen passen nicht in das Bild, das sich die Menschen von der Welt

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