Cherubim
spürte, wie sehr der Freund sich um ihn sorgte.
»Keine Angst«, lächelte er. »Ich glaube, das liegt hinter mir.«
»Gut! Können wir dann zu den Morden zurückkehren?« Arnulf hielt Richard auffordernd seinen leeren Becher hin.
Richard nahm ihn, stand auf und füllte ihn nach. Erst, als er wieder saß, sagte er: »Überleg doch mal! Zwei Tote, beide mit ausgestochenen Augen! Beide aus der ... Gosse.« Entschuldigend hob er dieSchultern bei diesen Worten. »Was wir herausfinden müssten, wäre, ob es irgendeinen Zusammenhang zwischen Dagmar und diesem Heinrich gibt. Ich jedenfalls bin fest davon überzeugt.« Arnulf schien seine Meinung nicht zu teilen, und so fügte Richard hinzu: »Ich habe mir Heinrichs Leiche angesehen! Und das ist es, was ich vorhin mit den anatomischen Kenntnissen meinte. Ich stimme dir zu, dass auch eine Frau einen Menschen so töten könnte, wie Dagmar getötet wurde. Einen Dolch oder ein ausreichend scharfes Messer in den Leib, und gut ist es.« Er sah, wie Arnulf zusammenzuckte, und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Die Vorstellung, dass Arnulf sein Herz an eine Frau gehängt hatte, war ihm noch immer so fremd, dass er sich im Ton vergriffen hatte. »Entschuldige, ich habe es nicht so gemeint.«
»Aber der Mörder«, gab Arnulf trocken zurück. Seine Stimme war ein wenig belegt. »Rede weiter!«
Richard tat ihm den Gefallen. »Heinrich wurde hingegen nicht erdolcht, oder sagen wir, nicht so wie Dagmar. Sein Körper wies außer den ausgestochenen Augen keinerlei weitere Verletzungen auf.«
»Und an ausgestochenen Augen stirbt man nicht«, meinte Arnulf dumpf.
Richard musste daran denken, wie Katharina genau das Gleiche gesagt hatte. »Eben! Heinrich starb auf eine andere Weise.« Er erhob sich, ging zu seinem Sekretär und nahm den Schädel und das Federmesser zur Hand. Mit beidem kehrte er zu Arnulf zurück und zeigte ihm, wie seiner Meinung nach Heinrich zu Tode gekommen war.
»Um das zu bewerkstelligen, Arnulf, braucht es detaillierte anatomische Kenntnisse, denn man muss genau wissen, wohin man stechen muss, und vor allem, in welchem Winkel. Sonst trifft man die Lücke im Schädel nicht.«
»Es sei denn, durch Zufall.«
Sanft schüttelte Richard den Kopf. »Sehr unwahrscheinlich.«
»Also ein Mann ...« Arnulf wirkte erleichtert, und unwillkürlich fragte Richard sich, ob er vielleicht für Maria ähnlich empfand, wie er für Dagmar empfunden hatte. Der Nachtrabe war ihm schon seit frühester Kindheit ein Rätsel, und daran hatte sich auch in den Monaten von dessen Abwesenheit nichts geändert. »Aber du hast keine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?«
Richard schüttelte den Kopf. »Wir müssen die Verbindung finden.«
»Zwischen Heinrich und Dagmar?«
Richard wollte antworten, aber er kam nicht dazu, weil an der Haustür geläutet wurde. Arnulfs Kopf wandte sich der Tür zu. »Erwartest du noch jemanden?«
»Nein.«
Kurz darauf streckte Thomas den Kopf in das Kontor. »Da ist ein gewisser Bürgermeister Silberschläger für Euch!«
Bevor Richard etwas erwidern konnte, schob Silberschläger den Diener einfach zur Seite und betrat das Kontor. Mit einem spöttischen Lächeln meinte er: »Ich hatte die Befürchtung, ich würde Euch wecken, aber das war offenbar unbegründet.« Sein Blick wanderte an Richards Gestalt auf und ab. »Habt Ihr ein wenig Zeit zum Reden?«
Richard gab Thomas zu verstehen, dass er sich zurückziehen konnte. Dann wies er auf Arnulf. »Ich habe Besuch.«
»Ich wollte ohnehin gerade gehen!« Mit einer geschmeidigen Bewegung stand der Nachtrabe auf. Er trat vor Silberschläger hin, tastete ihn mit Blicken von oben bis unten ab.
Dann schob er sich ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei. Auf dem Flur griff er nach seinem Umhang, schlang ihn sich um den Hals und zog die Kapuze ins Gesicht. »Wir sehen uns bald wieder«, sagte er zu Richard, nickte Silberschläger zu und war im nächsten Moment verschwunden.
Der Bürgermeister blickte ihm verwundert hinterher. »Seit wann habt Ihr Umgang mit Nachtraben?«, fragte er sanft.
Richard zuckte die Achseln und beließ es dabei. Ihm war klar, dass jedes Wort, mit dem er sich zu verteidigen gedachte, Silberschläger nur noch misstrauischer gemacht hätte. »Was führt Euch zu mir?«, fragte er also nur.
Silberschläger schälte sich aus seinem teuren, mit Pelz besetzten Mantel. »Ja«, meinte er. »Das ist wirklich eine interessante Sache!«
15. Kapitel
Hinter der Tür, durch die der Doktor
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