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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Lukas.
    »Warum glaubst du, dass ich davongegangen bin?«, war die Gegenfrage.
    »Ihr wusstet offensichtlich nichts von dem Tod meines Vaters, also vermute ich, Ihr habt ihn verlassen, als er noch lebte. Wieso?«
    Der Doktor zuckte die Achseln. »Ich hatte meine Gründe«, sagte er nur. Seine Stimme klang jetzt kühler als zuvor.
    Lukas spürte, wie ihm ein Schauer den Rücken hinunterlief, under zog es vor, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er half dem Doktor, die Regale von den Wänden zu rücken, und wie er vermutet hatte, fanden sie dahinter tatsächlich einen halb verwesten Rattenkadaver, der für den bestialischen Gestank in der Küche verantwortlich war. Lukas beförderte ihn auf den Abfallhaufen im Hof, dann stieß er die schiefen Fensterläden auf, um frische Luft hereinzulassen.
    In der kalten, von den Lichtern erhellten Stille arbeiteten sie weiter. So lange, bis Lukas das Schweigen nicht mehr aushielt. »Eure Frau«, sagte er zögernd.
    Der Doktor hielt inne, aber er drehte sich nicht um. Er schien überlegen zu müssen, was er darauf sagen sollte. Schließlich meinte er: »Was ist mit ihr?«
    »Katharina, oder? So war doch ihr Name?«
    »Hm.« Schlagartig sah der Doktor angespannt aus. Lukas bemerkte, wie er die Hände zu Fäusten ballte. Der Lappen zwischen seinen Fingern schickte eine dicke Staubwolke in die Luft.
    Lukas überlegte, ob es klug war, weiterzureden, aber plötzlich hatte er das dringende Bedürfnis, mehr zu erfahren. Zu viel Seltsames umgab den Doktor, zu viele unbeantwortete Fragen lagen Lukas auf der Seele. Wenigstens ein paar davon musste er beantwortet haben.
    »Wohnt sie noch hier in Nürnberg?«
    Der Doktor sprach mit flacher Stimme: »Ja.«
    »Warum wohnt Ihr dann hier in dieser halben Ruine? Warum geht Ihr nicht zu ihr?« Die Fragen waren heraus, bevor Lukas sie unterdrücken konnte.
    Und die Wirkung, die sie auf den Doktor hatten, war verheerend.
    Mit einem zornigen Ruck fuhr er zu Lukas herum. »Wag es nicht, ihren Namen noch mal in den Mund zu nehmen!« Er zischte die Worte, seine Lippen waren zurückgezogen wie die Lefzen eines tollwütigen Hundes.
    Erschrocken wich Lukas einen Schritt nach hinten. Der Doktor war früher nie laut geworden, jedenfalls nicht in der kurzen Zeit, die Lukas ihn kannte. Im Gegenteil: Lukas hatte ihn immer für einen ruhigen und überaus besonnenen Mann gehalten. Selbst die dümmstenFragen, die seine Patienten ihm stellten, hatte er geduldig und mit einem Anflug von Humor beantwortet.
    »Schon gut!«, murmelte er. »Verzeiht! Ich wollte Euch nicht erzürnen!«
    Da blinzelte der Doktor, und es war, als werde eine Maske von seinem Gesicht fortgezogen. Plötzlich war der Zorn in seinen Augen fort, und auch sein Mund entspannte sich wieder. »Entschuldige«, sagte er und grinste schief. »Ich habe wohl etwas heftig reagiert. Es gibt Gründe dafür, dass ich Katharina noch nicht wissen lassen will, dass ich am Leben bin.«
    Er sprach nicht weiter, aber Lukas begriff den versteckten Sinn hinter diesen Worten: Und diese Gründe gehen dich nichts an.
    Er biss die Zähne zusammen und versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren.
    Richard bot Bürgermeister Silberschläger denselben Platz an, auf dem noch eben Arnulf gesessen hatte. Dann räumte er Arnulfs Becher fort und holte einen neuen, den er mit demselben Wein gefüllt hatte.
    Auch Silberschläger schien das Getränk zu munden, denn genießerisch schloss er die Augen. »Das tut gut nach einem Tag wie diesem.«
    »Ihr spracht von einer interessanten Entwicklung der Ereignisse«, brachte Richard das Gespräch sogleich auf das Wesentliche. »Was ist geschehen?«
    Doch Silberschläger dachte gar nicht daran, sofort mit der Sprache herauszurücken. Er öffnete die Augen wieder. Einen Moment schien er versunken in die Betrachtung des funkelnden Weines in seinem Becher.
    Draußen wurden Stimmen laut, die von »elendem Judenpack« grölten. »Schlagt sie alle tot!«, hallte es durch die Tuchgasse.
    Silberschläger legte den Kopf schief, als lausche er einem wohlklingenden Gesang. Dann leerte er seinen Becher und hielt ihn Richard hin. Es war eine ähnliche Geste, wie Arnulf sie vorhin auch benutzt hatte, aber diesmal ärgerte sie Richard. Warum nur standen ihm beim Anblick des Bürgermeisters plötzlich alle Nackenhaare zu Berge?
    Draußen verstummte das Geschrei.
    »Der Stadtrat hält diese Leute für verrückt«, beklagte sich Silberschläger, nahm den vollen Becher zurück und tat sogleich

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