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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Nase bedeckte. Seine Stimme klang gedämpft dadurch.
    Freudige Anspannung ergriff Dagmar. Vielleicht hatte sie ja Glück, und dieser Kerl hier erwies sich als ähnlich guter Fang wie der Jungspund von Maria!
    »Es ist spät!«, sagte sie dennoch und ließ von der Laterne ab. Manchmal machte es Männer erst richtig scharf, wenn sie sich zierte. Es konnte auf jeden Fall nicht schaden, zu versuchen, den Preis einwenig in die Höhe zu treiben. »Eigentlich war ich auf dem Weg nach Hause.«
    Eine der schmalen Hände verschwand unter dem Umhang und kam mit einem prall gefüllten Geldbeutel wieder hervor.
    Dagmar frohlockte.
    »Ich zahle gut. Besser als das Gesindel, das du heute abend bereits bedienen musstest. Und ich versichere dir, dass ich keine ungebührlichen Wünsche habe.«
    Dagmar runzelte die Stirn. »Woher wisst ihr, wen ich heute abend bedient habe?«
    Der Fremde zuckte die Achseln. »Du kommst aus dem Spittlertorviertel, nicht wahr?«
    Es war Erklärung genug. Die Gegend am Spittlertor war nicht für ihren guten Ruf bekannt.
    Dagmar nickte. Sie fühlte Verunsicherung in sich aufsteigen. Diese Stimme! Irgendwo hatte sie sie schon einmal gehört. Oder? Verwirrt blinzelte sie. »Zeigt Euer Gesicht, damit ich entscheiden kann, ob ich Euer Geld annehme oder nicht!«
    Ein Lächeln klang in der Stimme des Fremden mit. »Oh, das werde ich.« Er öffnete den Geldbeutel und holte zwei große, glänzende Goldmünzen hervor. »Das sind Florentiner Gulden. Gutes, ehrliches Geld. Du bekommst es, wenn du mit mir kommst.«
    Zwei ganze Goldstücke!
    Dagmar machte einen Schritt auf den Fremden zu, bemüht, dabei nicht allzu gierig zu wirken.
    Blitzschnell versenkte der Freier das Gold wieder in dem Beutel. »Erst die Arbeit, dann der Lohn!«, sagte er freundlich. »Wirst du mir zu Diensten sein? Oder soll ich mir eine andere Dirne suchen? Es gibt genug von deiner Sorte, denke ich, und ...«
    »Nein! Nein!«, wehrte Dagmar ab. »Ich werde mit Euch gehen! Sagt mir nur, wohin Ihr wollt. Niklas, der Wirt der Krummen Diele, hat ein kleines Zimmer, das wir benutzen können, oder ...«
    »Rede nicht, sondern komm!«, unterbrach der Freier sie.
    Sie blinzelte. »Ihr habt es aber wirklich eilig!«
    »Wie man es nimmt.« Der Freier streckte eine Hand aus und bedeutete Dagmar, sie zu ergreifen.
    Sie zögerte. Doch dann fasste sie zu.
    Die Haut des Mannes war weich und warm, so ganz anders als die meisten, die sie sonst berühren musste. Doch der Fremde fasste mit solcher Kraft zu, dass sie schmerzhaft aufstöhnte.
    »Sehr gut!«, flüsterte er heiser.
    Dann zog er sie in die Schatten der Stadtmauer.
    »Sei gegrüßt, mein lieber Butte!« Der Nachtwächter, dessen Namen Raphael Krafft sich nicht merken konnte, stieß seinen Stab mit der Lampe in die feuchte Erde der unbefestigten Gasse. In dem flackernden Licht sah sein Grinsen spöttisch aus.
    »Nenn mich nicht immer Butte!« Raphael blieb stehen. »Einen guten Abend auch dir!« Die beiden Eimer, die an einem hölzernen Joch auf seinen Schultern hingen, schwangen sachte hin und her. Beide waren noch unbenutzt, obwohl es gegen Mitternacht ging, und Raphael fürchtete, sie würden es auch bleiben. Denn bei dieser klirrenden Kälte würde er höchstens noch ein paar Zecher treffen. Und die zählten nicht zu seinen besten Kunden, weil sie es vorzogen, sich einfach in einer dunklen Ecke zu erleichtern. Auch wenn der Stadtrat genau das verboten hatte.
    Der Nachtwächter neigte grüßend den Kopf, und Raphael zermarterte sich das Hirn darüber, wie der Mann hieß. Wenn sein Gedächtnis ihn doch in letzter Zeit nur nicht so oft im Stich lassen würde! Bald würde er sich nicht einmal mehr daran erinnern können, wie sein eigener Name war.
    Er öffnete und schloss die linke Hand mehrfach. Wenigstens die Schmerzen in den Fingergelenken waren heute erträglich. Vielleicht hatte er ja Glück, und die Gicht, die sich seit ein paar Monaten immer wieder einmal mit steifen Gelenken und dumpfem Druck in den Knöcheln ankündigte, würde noch ein paar Jährchen auf sich warten lassen.
    Das Alter war wahrhaftig nichts für Feiglinge, dachte er. Und das, obwohl er noch keine fünfundvierzig Jahre zählte.
    »Wie gehen die Geschäfte?« Der Nachtwächter gluckste ob der Zweideutigkeit seiner Worte.
    Raphael bemühte sich um ein unverbindliches Lächeln. DieseFrage wurde ihm so oft gestellt, dass er sie längst nicht mehr hören konnte. »Schleppend«, antwortete er so ausdruckslos, wie er es vermochte.

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