Cherubim
suchen sich lieber eine unbeobachtete Hausecke, auch wenn der Stadtrat das verboten hat.«
»Gut. Bleibt nur die Frage nach dem Geld.«
Der Mann nannte Raphael eine Summe, die überaus ansehnlich war, und fast hätte Raphael in diesem Moment das Geschäft noch abgelehnt. Es konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen, dass ein Mann so viel Geld für ... Pisse zahlte! Doch dann besann er sich darauf, was er mit einer solchen Summe alles kaufen konnte. Die kleine blonde Hure mit den Korkenzieherlocken, die er erst neulich kennengelernt hatte, würde ihn bestimmt bevorzugt behandeln, wenn er ihr ein kleines Geschenk machte. Ein Armband wäre passend ... Also schob Raphael alle Bedenken beiseite. »Ich mag mir zwar nicht vorstellen, zu welch finsteren Zwecken Ihr Frauenpisse braucht, aber das geht mich nichts an. Wenn Ihr den Betrag bezahlt, den Ihr genannt habt, sollt Ihr bekommen, was Ihr verlangt.« Was für ein Glückskind er doch war! »Ich bin also einverstanden.« Er streckte die Hand aus.
Der Mann zögerte, und Raphael konnte erkennen, dass er sich vor seiner Berührung ekelte. Auch das war er gewöhnt, wenn es ihn jedoch immer wieder schmerzte, es zu erleben. Schließlich gab der Mann sich einen Ruck und schlug ein. »Abgemacht?«
»Abgemacht«, nickte Raphael. »Wie ist Euer Name, und wo wohnt Ihr? Damit ich weiß, wohin ich den Eimer bringen muss.«
»Kommt einfach in das Fischerhaus an der Frauentormauer. Das, was seit Monaten leergestanden hat, kennt Ihr es?«
Raphael nickte. Das Haus war kaum zu übersehen: Es besaß vier Stockwerke und über dem zweiten einen tragenden Balken, den man mit der Darstellung eines Netze auswerfenden Mannes verziert hatte. Es hieß, der erste Besitzer des Hauses sei ursprünglich aus Lübeck gewesen und habe sich mit dieser Verzierung eine Erinnerung an seine alte Heimat schaffen wollen. Raphael mochte das Haus, es strahlte Würde und Heimeligkeit aus, obwohl es leerstand und seine Fensterscheiben längst erblindet waren.
»Gut.« Der Mann nickte Raphael zu. »Noch brauche ich Eure Lieferung nicht, aber ich gebe Euch Bescheid, wenn sich das ändert. Dazu müsst Ihr mir nur noch Euren Namen verraten, damit ich Euch wiederfinden kann.«
Raphael trat einen Schritt rückwärts. »Raphael Krafft. Ich bin leicht zu finden. Ich glaube, es gibt kaum jemanden in Nürnberg, der mich nicht kennt.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Der Mann tippte sich an den Hut, dann wandte er sich ab und war im nächsten Moment um eine Hausecke entschwunden.
Der Freier ging vor Dagmar her, bog ein paarmal in verschiedene Richtungen ab, bis sie sich nicht mehr sicher war, wo sie sich eigentlich befand.
»Wohin wollt Ihr?«, fragte sie. Der Atem stand ihr als dichte Wolke vor dem Mund. Es war noch kälter geworden.
»Hier draußen ist es doch recht ungemütlich«, bekam sie zur Antwort. Die Stimme des Freiers klang gedämpft durch den Schal, den er sich über Mund und Nase gezogen hatte. »Ich habe ein schönes, warmes Plätzchen für uns, und wenn du magst, bleibst du die ganze Nacht und bekommst morgen früh ein fürstliches Frühstück serviert.«
Der Mann musste reich sein, dachte Dagmar. Reich und ledig. Nur so erklärte sich, warum er vorhatte, sie mit zu sich nach Hause zu nehmen und dort auch bleiben zu lassen, bis der Morgen graute. Die Vorstellung, in einem richtigen Bett, vielleicht sogar in seidenen Laken zu schlafen, erschien ihr so verlockend, dass sich ein Lächeln auf ihre Mundwinkel stahl.
Der Freier warf ihr einen raschen Seitenblick zu und nickte zufrieden. »Es wird dir gefallen!« Inzwischen hatte er ihre Hand losgelassen.
Eine Frau kam ihnen entgegen, und mit der ihr eigenen Aufmerksamkeit sah Dagmar, dass sie einen guten Mantel und eine weiße Haube trug, die sie als verheiratet auswies. Was wohl eine Bürgerin wie sie mitten in der Nacht allein in den Straßen machte? Der Freier blieb jetzt stehen, und Dagmar vergaß die Frau sofort wieder.
»Wir müssen hier entlang.« Der Freier wies auf einen schmalen Durchlass. Es war finster darin, und sie konnte es rascheln hören. Waren das Ratten oder eine Katze? Sie rieb sich die Oberarme und blickte ihren Freier fragend an.
Der neigte den Kopf. »Es ist ein geheimer Weg zu meinem Haus«, erklärte er, und es lag ein wenig Befangenheit in seiner Stimme. »Ich möchte nicht, dass die Nachbarn sehen, wen ich mitten in der Nacht mit nach Hause bringe.«
Dagmar nickte, auch wenn ihr die Worte einen Stich versetzten.
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