Cherubim
Wusstet Ihr übrigens, dass ich Euren Mann kannte? Egbert, nicht wahr? Ein überaus heller Kopf. Genialer Medicus! Hartmann hat mir von seinem Tod erzählt, was für ein Jammer!«
Hartmann gab Wilhelm einen derben Knuff gegen die Schulter. »Alter Schwätzer!«, tadelte er, aber er grinste dabei. Überhaupt, fand Katharina, wirkten beide gemeinsam wie übermütige Schuljungen, die zu allerlei Streichen aufgelegt waren. »Das hübsche Näschen übrigens sitzt in einem Gesicht, mein Lieber. Und hinter diesem Gesicht befindet sich ein wacher Geist, der eine recht kniffelige Frage an dich hat.« Endlich wandte Schedel sich zu Katharina um. »Das ist Wilhelm von Hohenheim«, stellte er ihr den Mann vor. »Er ist Medicus aus der Nähe von Einsiedeln, aber zur Zeit auf meine Bitte hin Gast in Nürnberg. Richard Sterner, den Ihr auch kennt, ist übrigens ein Bekannter von ihm.« Schedel wandte sich an den Mann. »Wie geht es eigentlich deiner Frau, mein Lieber? Hast du inzwischen Nachricht von ihr erhalten?«
Hohenheim verzog den Mund. »Habe ich. Einen langen Brief. Sie beschimpft mich, dass ich mich so lange hier aufhalte und dir helfe, diesen in ihren Augen völlig unnützen Versuch durchzuführen. Sagt, ich solle lieber nach Hause kommen und ihr im Hospiz helfen. Außerdem beklagt sie sich, dass wir auf diese Weise niemals Eltern werden.« Er kicherte verhalten und warf einen Blick in Katharinas Richtung, aus dem sie nicht zu lesen vermochte, ob er kokett oder befangen sein sollte.
»Wilhelms Frau ist die Leiterin des Hospizes in Einsiedeln und darüber hinaus die beste Starschneiderin, die mir je begegnet ist«, erklärte Schedel Katharina. »Sieht ganz so aus, als passe es ihr nicht, dass ich ihren Gatten so lange mit Beschlag belege.«
»Von welchem Versuch war die Rede?«, erkundigte sich Katharina.
Schedel erzählte ihr, dass er gemeinsam mit Hohenheim undzuvor auch mit dem verschollenen Bürgermeister Zeuner eine Studie durchführte, mit deren Hilfe sie herausfinden wollten, ob sich die Seuchengefahr in Nürnbergs Straßen vermindern ließ. Dazu versuchten sie, die Leute davon abzuhalten, sich einfach zu erleichtern, wo sie gingen und standen. »Es lässt sich nur langsam an, weil es schwierig ist, den Menschen klarzumachen, dass sie dann natürlich auch ihr Nachtgeschirr nicht auf die Straßen kippen dürfen.« Schedel verdrehte die Augen.
Katharina musste an die Wasserleitungen unter dem Pflaster der Stadt denken. »Ich solltet noch auf etwas anderes achten«, murmelte sie.
Schedel blickte sie fragend an. »So?«
Sie musterte Hohenheim und konnte Erstaunen in seinen Augen lesen. Zögernd, weil sie nicht wusste, wie ihre Worte aufgefasst werden würden, erkärte sie: »Es gibt eine Menge Abtrittgruben auf dem Stadtgebiet, die sich überaus nahe an den Brunnen befinden. Wenn ich Euch richtig verstehe, vermutet Ihr, dass menschliche Ausscheidungen die Bildung von Miasmen fördern, und Ihr wollt das verhindern.«
»Stimmt.«
»Was ist aber, wenn sich die Miasmen unbemerkt unter Euren Füßen voranbewegen? Von Grube zu Brunnen und von dort zum nächsten Brunnen?«
Schedel wirkte wie vor den Kopf geschlagen. »Hast du daran schon mal gedacht?«, fragte er Hohenheim.
Der verneinte. Auf seiner Stirn hatten sich Falten gebildet, die so tief waren, dass sie Katharina an ein Waschbrett erinnerten. Plötzlich sah Hohenheim aus wie ein verknitterter Jagdhund, der Witterung aufgenommen hatte. »Wir sollten das in Betracht ziehen!«, rief er. Dann stach er mit dem Finger in Katharinas Richtung. »Ihr habt wirklich ein helles Köpfchen, meine Liebe! Womit kann ich denn nun Euch dienen?«
Gemeinsam mit Schedel erzählte Katharina ihm von Kunigundes Fall.
Nachdem sie geendet hatten, stülpte Hohenheim die Lippen nach außen. Er wirkte albern damit, doch sein Blick bekam etwas so Konzentriertes,dass es den nachteiligen Ausdruck wieder wettmachte. »Urina nigra«, murmelte der Medicus. »Wenn ich mich recht entsinne, gibt es einen sehr alten Bericht über eine Frau, die unter diesem Symptom zu leiden hatte. Soweit ich mich erinnere, lebte sie in Thasos.« Er überlegte einen Moment, dann fragte er Katharina: »Eure Patientin, leidet sie an Fieber?«
Katharina schüttelte den Kopf.
»Angstzustände?«
»Nein.«
»Schläfrigkeit? Erschöpfung? Plötzliche, starke Aktivität?«
»Auch nicht.« Katharina konnte nur hoffen, dass all ihre soeben gemachten Aussagen auch zutrafen, denn über diese Dinge hatte sie mit
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