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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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meiner Familie es an die große Glocke gehängt hätte, welche Farbe die eigene Pisse hat.«
    Die Frau lächelte, und Raphael wunderte sich darüber, wie gelassen sie den derben Ausdruck hinnahm. Sie wirkte zwar nicht wie eine Patrizierin, aber immerhin hatten ihre Kleidung und auch ihre Haltung etwas an sich, aufgrund dessen Raphael darauf schloss, dass sie nicht zum einfachen Volk gehörte.
    »Wahrhaftig«, sagte sie. »Dann habt Ihr Eurer Schwester selbst wahrscheinlich auch niemals davon erzählt?«
    Raphael schüttelte den Kopf. »Aber wir sind auch seit langem nicht mehr ...« Er suchte nach den richtigen Worten. »... sehr vertraut miteinander.«
    »Sie ist im Kloster.«
    »Das auch, ja.« Raphael dachte daran, wie er seine Schwester das letzte Mal getroffen hatte. Dieses Gespräch durch das elende Gitter im Besuchsraum war ein einziger Hohn gewesen! Auch wenn Kunigunde als Priorin die strengen Regeln ein wenig dehnen konnte und die Überhörerin – jene Nonne, die dafür zuständig war, die Gespräche der Nonnen mit den Angehörigen der Außenwelt zu überwachen – weggeschickt hatte, war es Raphael unangenehm gewesen, in dem winzigen Gelass zu sitzen und über Persönliches zu sprechen. Ihm war es vorgekommen, als hätten die Wände Augen und Ohren, und darum war ihr Gespräch ziemlich unverfänglich verlaufen.
    Ganz anders, als noch vor Jahren ...
    Diesen Gedanken schob Raphael schnell zur Seite, und er hoffte, dass Katharina Jacob ihm nicht ansehen konnte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. »Was gedenkt Ihr jetzt zu tun?«, fragte er, um von sich selbst abzulenken.
    »Ich werde zu Eurer Schwester gehen und ihr von Euch erzählen. Ich hoffe, das wird sie ein wenig beruhigen. Sie ängstigt sich doch sehr, seit sie die schwarzen Wolken in ihrem Nachttopf gesehen hat.«
    »Warum ist es ihr früher nie aufgefallen?«, fragte er.
    »Weil sie bis zu diesen Tagen niemals einen Nachttopf benutzt hat«, bekam er zur Erklärung. Katharina neigte den Kopf. »Ich danke Euch, dass Ihr mir weitergeholfen habt. Wo kann ich Euch finden, wenn ich noch Fragen an Euch habe?«
    Raphael nannte ihr den Namen einer Gasse am Rande des Spittlertorviertels, wo er wohnte, und sie dankte ihm abermals.
    Dann machte sie kehrt und verschwand um die nächste Hausecke. Raphael starrte ihr noch nach, als ihre Schritte auf dem eisigen Pflaster längst verklungen waren.Nach dem missglückten Versuch in der vergangenen Nacht hatte der Doktor Lukas erlaubt, sich für einige Stunden schlafen zu legen. Doch nur in einem der Räume hatte Lukas ein Bett gefunden, und das war ganz offensichtlich bereits vom Doktor belegt worden. Also hatte er sich in eine der beiden Dachkammern zurückgezogen, die offenbar früher den Dienstmädchen als Unterkunft gedient hatten. Hier befand sich eine schmale, recht unbequeme Pritsche, die ihm jedoch ihren Dienst erwies.
    Als Lukas wieder erwachte, war es draußen hell, und er brauchte eine Weile, um sich zurechtzufinden.
    Er streifte rasch die Stiefel wieder über, die er vor dem Schlafen ausgezogen hatte. Dann lief er die steile Stiege nach unten und gleich darauf die Treppe, die ihn ins Erdgeschoss und zur Küche führte.
    Die Tür war nur angelehnt, und er konnte dahinter den Doktor leise vor sich hin fluchen hören.
    Vorsichtig legte er eine Hand gegen die Tür und drückte sie ein Stück weiter auf.
    Der Doktor stand vor dem Herd und hatte Kopf und Schultern hängen lassen. Er wirkte verzweifelt. Lukas war versucht, zu ihm zu gehen, aber etwas hielt ihn davon ab. Er dachte an den seltsamen Gesichtsausdruck, den der Doktor an den Tag gelegt hatte, als das Experiment in der Nacht fehlgeschlagen war.
    »Ich bin es nicht wert, Katharina!«, hörte er den Doktor murmeln. »Ich schaffe es einfach nicht, diese Medizin für dich herzustellen!« Dann ging der Doktor mit schweren Schritten zu dem Tisch, ließ sich auf den Schemel fallen und stützte den Kopf in die Arme.
    Voller Entsetzen musste Lukas mit ansehen, wie seine Schultern zu beben begannen, und als das Schluchzen des Doktors die Küche erfüllte, zog er sich so leise wie möglich zurück.
    Auf dem Flur blieb er stehen und starrte nachdenklich gegen die Wand.
    Und dann fasste er einen Entschluss.
    Der Weg zu jenem Haus, in dem Egbert Jacob und seine Frau früher gewohnt hatten, war nicht weit, und Lukas erinnerte sich noch daran, wie er beim letzten Mal vor dieser Tür gestanden hatte.Damals war er hier gewesen, um Katharina die Nachricht vom Tod ihres

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