Cherubim
beauftragt waren, Knechte, die Bündel von Feuerholz schleppten, Bauern, die sich nach der ganzen Reihe der Herbstmärkte, die längst vorbei waren, ein weiteres gutes Geschäft erhofften. Und auch allerlei Gesindel trieb sich in dem Gewimmel herum, Beutelschneider und Huren, Spielleute und Wahrsager.
Die Frau, die Raphael angesprochen hatte, stand im Schatten eines langgestreckten und schmalen Hauses, dessen Dach weit genug überstand, um rings um die Mauern herum einen breiten Streifen schneefreien Bodens zu schaffen. Da die unzähligen Menschen den Schnee der letzten Tage längst zu grauem Matsch zertrampelt hatten, nutzten etliche jede Handbreit Untergrund, auf dem sich einigermaßen trockenen Fußes das angestrebte Ziel erreichen ließ. Dennoch war der Rocksaum der Frau schmutzig.
Raphael rückte das Joch mit den beiden Eimern zurecht und trat auf die Frau zu. Als er nahe genug heran war, um einen Blick in ihr Gesicht zu werfen, erkannte er, dass sie schöne Augen hatte, derenFarbe von Blau zu Grau wechselte, je nachdem, wie das Licht in sie fiel. Sie hatte das lange blonde Haar gescheitelt, zu einer losen Frisur aufgesteckt, die eine weiße Haube recht nachlässig bedeckte.
»Wie kann ich Euch dienen?«, fragte Raphael.
Die Frau blickte ihn an. Ihre Wangen waren ein wenig zu eingefallen und die Schatten unter ihren Augen zu dunkel, um sie wirklich hübsch zu nennen. Aber Raphael war sich sicher, dass sie, mit ein paar Pfunden mehr auf den Rippen, einen durchaus ansehnlichen Anblick geboten hätte. »Seid Ihr Raphael Krafft?«, fragte sie.
Die Ketten an Raphaels Eimern klirrten leise. »Warum?«, wollte er wissen.
»Ich habe Euch gesucht«, erklärte die Frau. »Einer Eurer Kollegen sagte mir, dass ich Euch um diese Zeit hier in diesem Viertel antreffen würde.«
Raphael senkte das Kinn zu einem knappen Nicken. »Sieht aus, als hätte er recht. Ich bin Raphael Krafft.« Er wartete, was nun kommen würde.
»Mein Name ist Katharina Jacob. Ich behandele Eure Schwester gegen eine Krank...«
»Kunigunde?«, fiel Raphael ihr mitten ins Wort.
Katharina Jacob nickte, und abschätzig musterte er sie. »Ihr seht nicht aus wie eine Nonne!«
»Das bin ich auch nicht.« Kurz sah es so aus, als wollte die Frau ihm eine Erklärung abgeben, aber dann entschied sie sich anders. »Es ist zu kompliziert, Euch alles in Einzelheiten zu erklären.«
»Hm.« Raphael verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Und?«
Katharina Jacob verschränkte vor dem Leib ihre Finger ineinander. »Ich brauche Eure Hilfe.«
»Wie kann ich Euch helfen? Ich meine, abgesehen von den Diensten, die ich Euch anbieten kann!« Raphael rasselte mit den Eimerketten.
»Das!« Ein schwaches Lächeln glitt über das Gesicht der Frau. »Nein, das ist nicht nötig. Eure Schwester, sie leidet an einer, sagen wir, überaus seltsamen Krankheit.«
Da musste Raphael plötzlich lachen. Aus irgendeinem Grundwusste er, wovon diese Frau sprach. »Ihr Urin ist schwarz, stimmt es?«
Katharina Jacob riss erstaunt die Augen auf. »Woher wisst Ihr ...?«
»Ganz einfach: Bei mir ist das so, so lange, wie ich denken kann.«
Einen Moment lang schwieg Katharina. Ihr Blick kehrte sich nach innen, wie bei jemandem, der sehr ausgiebig über etwas nachdachte. Dann sah sie ihn wieder an. »Und Ihr habt keinerlei weitere Beschwerden?«
Raphael zuckte die Achseln. »Wenn man von ein paar leichten Gelenkschmerzen hin und wieder absieht, nein.«
»Gelenkschmerzen.« Erneut schien die Frau nachzudenken. »Habt Ihr mit dieser Angelegenheit jemals einen Medicus aufgesucht?«
»Warum?«, lachte Raphael. »Es geht mir doch gut!«
»Nun, schwarzer Harn gilt im Allgemeinen als Zeichen für den nahenden Tod.«
»So?« Da dieses Gespräch offenbar länger zu dauern schien, setzte er seine Last ab. Sorgsam darauf bedacht, dass die eisernen Ketten nicht mit dem ekeligen Inhalt der Eimer in Berührung kamen, legte er das Joch auf ihren Rand und bewegte seine Schultern, um sie zu lockern. »Das wusste ich nicht«, behauptete er.
Katharina Jacob nickte. »In Eurem Fall scheint es ja auch nicht zuzutreffen.«
»Wenn es so wäre, hätte ich im Alter von achtzehn oder neunzehn Jahren schon gestorben sein müssen, da ist es nämlich zum ersten Mal aufgetreten.«
»Was Ihr nicht seid.« Die Frau tippte sich gegen die Oberlippe. »Gibt es in Eurer Familie noch weitere dieser Fälle?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Raphael grinste. »Aber ich glaube nicht, dass jemand aus
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