Cherubim
bitten.« Sie hob die Hände und zeigte sie Richard. Sie waren schmutzig, mehrere Fingernägel eingerissen und blutig, als habe sie die Nacht damit verbracht, an den Wänden zu kratzen. »Der christliche Gott hat mein Flehen um Vergebung nie erhört. Jetzt weiß ich auch, warum. Die Taufe ist nur ein leeres Ritual, Arnulf. Ich bin Jüdin, und das weiß ich nun.«
»Was treibt dich an, Mirjam?«, fragte Arnulf. Der Name ging ihm hörbar schwer über die Lippen. »Du bist mir bisher niemals irrsinnig vorgekommen, im Gegenteil. Was hast du mit den Tauben gemacht? Und mit Dagmar?«
»Die Tauben ...«, sinnierte Maria. Dann heftete sie den Blick auf Arnulf. »Hast du die beiden anderen aus dem Käfig genommen?«
Arnulf nickte.
»Und ich dachte, Adonai hätte mein Opfer angenommen.« Ein leises Lachen drängte aus Marias Kehle. »Was für ein dummes Ding ich doch bin!« Dann fiel ihr etwas ein. »Was redest du von Dagmar?«
»Du hast den Tauben die Augen ausgestochen«, erklärte Arnulf. Er musste nicht weitersprechen.
Mit erschrockenem Blick wich Maria zurück. »O nein! Du denkst, ich hätte auch Dagmar getötet?«
»Warst du es denn nicht?« Jetzt konnte Richard nicht mehr an sich halten und mischte sich ein.
Maria schien ihn nun überhaupt erst zu bemerken. Verwundert sah sie ihn an. »Nein«, sagte sie dann völlig ruhig und so klar, dass jede Annahme, sie könne verrückt sein, widersinnig schien. »Sie können mich wegen Blasphemie verurteilen, und das werden sie wahrscheinlich auch tun. Ich rechne nicht damit, dass ich in dieser hübschen, gemütlichen Zelle alt werden darf. Aber Mord? Niemand kann mich wegen etwas verurteilen, das ich nicht begangen habe.« Geradezu empört wirkte sie.
»Sie war es nicht!«, sagte Arnulf leise. Richard war versucht, ihm zuzustimmen.
Maria nickte. »Ich war es nicht. Warum sollte ich meiner besten Freundin die Augen ausstechen? Auch wenn ich mich oft über ihre seltsame Farbe gewundert habe!«
Richard merkte auf. »Ihre seltsame Farbe?«
»Ja«, sagte Maria und sah Arnulf an. »Ist dir das nie aufgefallen? Dass sie so komische schwarze Schatten in den Augen hatte?«
Arnulf überlegte. »Jetzt, wo du es sagst. Es war nicht sehr deutlich.«
In Richards Kopf kreisten die Gedanken. »Warum hast du das nie erwähnt?«, fragte er.
Arnulf zuckte die Achseln. »Es ist mir eben erst bewusst geworden. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es wichtig sein könnte.«
Richard schüttelte den Kopf. Der Eisenmeister in seiner Nische wurde langsam ungeduldig, und da Richard jetzt etwas nachzuprüfen hatte, wollte auch er nur noch hinaus aus diesem trostlosen Gemäuer.
»Lass uns gehen«, bat er Arnulf.
Nachdem Egbert so unvermittelt ins Bett gegangen war und Katharina einfach stehengelassen hatte, hatte sie keinen Anlass gesehen, noch länger in dem verwahrlosten Haus zu bleiben. Sie hatte Raphael ebenfalls vorgeschlagen zu gehen, doch er hatte es vorgezogen zu bleiben.
»Herr Jacob bezahlt mich dafür, dass ich bleibe«, hatte er gesagt und dabei ein wenig beleidigt geklungen. »Und er bezahlt mich gut.«
»Nun«, hatte Katharina ihm entgegengehalten. »Mich bezahlt er nicht.«
Und dann war sie gegangen.
Ludmilla war erleichtert gewesen, dass sie doch noch kam. Katharina bedankte sich für ihre Hilfe und nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass sie ebenso wie Raphael einen Anteil am Geld aus Egberts Börse bekam. Jegliche Frage nach Egbert jedoch, die Ludmilla deutlich sichtbar auf der Seele brannte, wehrte sie ab und komplimentierte die ältere Frau zur Tür hinaus.
Weil Mechthild noch immer seelenruhig schlief, beschloss Katharina, sich ebenfalls hinzulegen. Offenbar hatte Ludmilla eine Weile auf ihrem Bett geruht, die Decke war noch warm von ihrem Körper. Katharina stieß ein Seufzen aus. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihre Tage im Henkershaus gezählt waren. Sie würde bald für immer im Fischerhaus einziehen, und sie versuchte sich vorzustellen, wie ihr Leben dann aussehen mochte. Allein der Gedanke an all die zugedeckten Möbel, an die blinden Fenster und die verwahrlosten Fußböden bereitete ihr ein unbestimmtes Grausen, das sich in leichten Magenschmerzen äußerte.
Wie nur, dachte sie bei sich, sollte sie Richard beibringen, was geschehen war?
Über dieser Frage schlief sie völlig erschöpft ein.
Und erwachte kurz vor Sonnenaufgang mit der Erkenntnis, dass sie am Abend zuvor ihre Verabredung mit Maria völlig vergessen hatte. Mit einer Mischung aus Scham
Weitere Kostenlose Bücher