Cherubim
auf dem Altar ihrem finsteren Meister opfern.« Er schüttelte sich bei dem Gedanken. Der Novize, der ihn geholt hatte und der anschließend in seiner Nähe geblieben war, sah besorgt aus.
»Bruder Infirmarius ...«, begann er, doch Johannes brachte ihn mit einer energischen Geste zum Schweigen.
»Es ist gut«, behauptete er. »Ich bin nicht verhext worden. Dafür hatte das Weib gar nicht die Zeit, weil ein paar Büttel in der Nähe waren. Sie hörten meine Hilferufe, kamen in die Kirche gerannt und halfen, die irre Hexe zu überwältigen.«
Die irre Hexe!
Der kalte Knoten in Katharinas Magen begann zu schmerzen. Das alles war nur ihre Schuld! Wenn sie da gewesen wäre, wie sie es versprochen hatte, hätte sie Maria vielleicht von ihrer Untat abhalten können. Aber hätte sie das wirklich? Allein die Vorstellung, dass Maria mit veränderter Stimme gesprochen hatte, ängstigte Katharina so sehr, dass sie sich noch jetzt ganz schwach vorkam.
War sie vielleicht doch besessen gewesen? Waren die verschiedenen Stimmen in ihr die Stimmen von einem Dämon gewesen? Sagte nicht der unreine Geist zu Christus: »Mein Name ist Legion, denn wir sind viele?«
Katharina schwankte.
Der Novize streckte eine Hand aus, als erwarte er, sie in Ohnmacht sinken zu sehen. Sie nickte ihm beruhigend zu. »Wohin hat man sie gebracht?«, flüsterte sie. »Lebt sie überhaupt noch?« In ihrem Kopf entstand ein Bild von Marias Leiche und ihrem Blut auf dem Boden der Kirche.
Johannes nickte eilig. »Ja, ja, sie lebt! Sie wurde in eines der Narrenhäuslein der Stadt gebracht, ich glaube, in das im Luginsland.« Er wies vage in die Richtung, in der die Kaiserburg lag.
Katharina hob den Blick. Die Mauern des Klosters waren jedoch zu hoch, um auch nur die Spitze des naheliegenden Turmes sehen zu können. »Ich muss zu ihr«, sagte sie.
Johannes sah nicht überzeugt aus. »Warum? Sie ist von einemDämon besessen. Ihr könnt ihr nicht helfen, glaubt mir! Ich bin selbst Medicus, ich kenne mich aus.«
Katharina unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, dass er für die körperlichen Wehwehchen der Mönche zuständig war, für gequetschte Finger und Hautausschlag, nicht jedoch für die Krankheiten des Geistes, die wahrscheinlich in seinem Kloster auch eher selten anzutreffen waren. »Ich war in der Kirche mit ihr verabredet«, sagte sie wie zur Erklärung. »Ich habe das Treffen vergessen.«
Johannes nickte. Seine Miene war ausdruckslos, und doch glaubte Katharina in ihr so etwas wie Missbilligung zu lesen. »Wart Ihr heute schon bei Kunigunde?«, fragte er.
Katharina schüttelte den Kopf. Noch eines der Versäumnisse, derer sie sich schuldig gemacht hatte, weil Egbert zurückgekehrt war. Auf einmal kam ihr die gesamte Situation so unwirklich vor, dass sie sich fühlte wie in einen undurchdringlichen Nebel gepackt. War Egbert tatsächlich am Leben? Was, wenn auch sie von irgendeinem Dämon besessen war, wenn sie sich all die Ereignisse vom gestrigen Abend nur eingebildet hatte? Doch dann dachte sie an ihr Gespräch mit Mechthild heute morgen, sie dachte an Lukas und auch an Raphael Krafft. All diese Menschen waren wirklich gewesen, keine Einbildung. Sie selbst litt vielleicht noch immer unter der melancholia , aber ihr Verstand wurde davon nicht beeinträchtigt. Hoffte sie jedenfalls.
»Ich habe sie heute in der Frühe getroffen«, erklärte Bruder Johannes. »Kunigunde, meine ich. Beim Frühgottesdienst.«
»Dann konnte sie ihr Lager verlassen?«
»Schwerlich. Aber sie bestand darauf. Sie ist der Meinung, dass ihr die Heilige Kommunion Linderung verschaffen kann. Ich werde noch zu dieser Stunde hingehen und sie ihr reichen. Ihr solltet sie ebenfalls aufsuchen. Sie erhofft sich von Euch Rettung, und wenn Ihr dazu nicht in der Lage sein solltet, so doch wenigstens ein bisschen Trost.«
Katharina biss sich auf die Zunge. Beinahe hätte sie erwidert, dass für den Trost doch eigentlich die Kirche zuständig war. Doch sie beherrschte sich. Langsam nickte sie. »Ich muss erst noch nach Maria sehen. Aber wenn Ihr Kunigunde trefft, so sagt Ihr doch bitteFolgendes: Durch Gottes glückliche Fügung habe ich etwas über ihre Krankheit herausgefunden. Ihr Bruder Raphael lebt zur Zeit bei meinem Mann im Haus. Er leidet seit vielen Jahren unter dem schwarzen Harn. Er machte mir Hoffnung, dass der Schwarzharn nicht unbedingt auf den nahen Tod hinweisen muss. Sagt Kunigunde das. Vielleicht gibt ihr das ein wenig Zuversicht. Und sagt ihr auch, dass ich so
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