Cherubim
Jüdin hat versucht, den Altar zu schänden. Bürgermeister Silberschläger hat uns zusammengerufen. Heute morgen. Demnach planen die Juden einenAngriff auf die öffentliche Ordnung in der Stadt. Scheint auch, als hätten sie einige Zaub...«
»An der Katharinenkirche?«, fiel Katharina dem Mann mitten ins Wort. Ein eisiger Schauer rann ihr den Rücken hinunter. »Eine Jüdin, sagtet Ihr?«
Der Mann nickte grimmig. Er hatte die Schultern zurückgenommen, wahrscheinlich, weil er entschlossen und kraftvoll aussehen wollte. Alles, was er damit jedoch erreichte, war, dass sein beachtlicher Bauch wie eine Tonne hervorragte. »Der Priester hat ausgesagt, dass sie bei ihm beichten wollte, doch dann muss der Irrsinn sie gepackt haben.«
Das eisige Gefühl in Katharina breitete sich aus, wurde zu einem kalten Knoten in ihrem Magen. Sie bedankte sich bei dem Mann und eilte so schnell sie konnte zu Marias Wohnung.
Was hatte Maria behauptet? Dass sie eigentlich Mirjam hieß.
Das war ein jüdischer Name.
Das schlechte Gewissen darüber, dass sie Maria versetzt hatte, hielt Katharina bereits fest in seinem Griff, als sie die Stiege zu der Wohnung hinauflief. Und es wurde zu einer Last, als sie feststellte, dass die Wohnung leer war. Um zur Besinnung zu kommen, blieb Katharina eine Weile mitten in der kleinen Kammer stehen. Der Geruch der Gerberei lag schwer und ekelhaft in der Luft, und er schnürte Katharina die Kehle zu. Ihr Herz jagte.
Dann fiel ihr Blick auf den Taubenkäfig. Zur Hälfte hing noch das Tuch darüber, einer der Zipfel berührte den Fußboden.
Wie eine Puppe an Fäden, mit steifen Schritten trat Katharina vor den Käfig hin. Und zog das Tuch ab.
Die Tauben waren fort. Alle.
Katharina schluckte schwer.
Warum nur hatte sie am Abend ihre Verabredung vergessen? Sie begann sich schwere Vorwürfe zu machen, doch dann rief sie sich selbst zur Ruhe. Noch wusste sie ja gar nicht, was geschehen war.
Um nicht in völlig sinnloser Grübelei zu versinken, beschloss Katharina, jemanden zu fragen, der auf jeden Fall gestern Abend in der Kirche gewesen war.
Bruder Johannes.
Sie faltete das Tuch ordentlich zusammen und legte es oben auf dem Käfig ab. Dann verließ sie die Wohnung, und diesmal ging sie wesentlich langsamer als noch Minuten zuvor.
Das Tor des Predigerklosters stand weit offen, und auf einmal kam es Katharina ungerecht vor, wie eng der Kontakt der Mönche mit der Welt war, während die Nonnen desselben Ordens wie Vieh weggesperrt wurden. Ein kaum erträgliches Gefühl von Unwillen, das Tor zu durchschreiten, griff nach ihr, und sie musste es regelrecht herunterschlucken, bevor sie einen der auf dem Hof herumlaufenden Mönche ansprechen und nach Bruder Johannes fragen konnte.
Diesmal kam der Infirmarius nicht aus dem Stall. Einer der Novizen holte ihn aus den Tiefen der Klostergebäude, wo er offenbar mit irgendeiner Schreibarbeit beschäftigt gewesen war. Jedenfalls hatte er frische Tinte an den Fingern, die er versuchte abzureiben und die er dadurch nur noch stärker verschmierte.
Mit gerümpfter Nase trat er vor Katharina hin. »Frau Jacob!«, sagte er etwas atemlos, so, als habe er sich beeilt, herzukommen. Seine Stirn war sorgenvoll in Falten gelegt, und Schatten lagen unter seinen Augen. Offenbar hatte er schlecht geschlafen.
Katharina schaffte es gerade noch, den Kopf zu einem Gruß zu neigen, bevor die Frage aus ihr herausplatzte: »Was ist gestern Abend geschehen?«
Da endlich ließ Bruder Johannes von seinen Händen ab. Er schluckte einmal schwer, bevor er antwortete: »Die Frau, die Ihr mir gesandt habt. Sie war von irgendeinem Teufel besessen. Sie hat zuerst die üblichen Worte der Beichte gesprochen, aber als ich sie fragte, weshalb sie eigentlich da sei ...« Er wischte sich mit dem Knöchel des Daumens über die Stirn und blinzelte. »Da schien es wie ein Schauder durch sie zu laufen. Für kurze Zeit wurde ihr Blick völlig leer, und ich dachte schon, sie würde vor meinen Füßen ohnmächtig zu Boden sinken. Aber das geschah nicht. Stattdessen fing sie an zu kreischen. Es war unheimlich, Frau Jacob! Ihre Stimme veränderte sich. Vorher war sie piepsig, doch auf einmal klang sie tief und voll, als späche jemand anderes durch sie. Und dann überwand sie die Altarschranke, zog zwei tote Tauben aus ihrem Rock.« Erwurde rot bei diesen Worten und gleich darauf so blass, dass seine Haut fast durchscheinend wirkte. »Sie griff das Altarkreuz, warf es auf den Boden und wollte die Tauben
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