Cherubim
und Selbstvorwürfen erhob sie sich und ging, um nach ihrer Mutter zu sehen.
Sie fand Mechthild wach in ihrem Bett liegend. Aus noch etwas verschlafenen Augen sah sie Katharina an. »Was ist geschehen?«, fragte sie, statt einen Morgengruß auszusprechen.
Katharina legte beide Hände an die Wangen und warf einen Blick in den kleinen Spiegel neben Mechthilds Bett. Ihre Haare waren so zerzaust wie ein altes Vogelnest. Und es lag ein Ausdruck auf ihrem Gesicht, der Mechthild aufgefallen sein musste. Ein Ausdruck von Verwirrung, ja fast Angst.
»Nichts Schlimmes«, beeilte sie sich ihrer Mutter zu versichern.
Doch Mechthild schaute sie ungläubig an. Da setzte sich Katharinaauf die Kante ihres Bettes. Zögernd griff sie nach den Fingern ihrer Mutter und nahm sie zwischen die ihren. Mechthilds Haut war kühl und ein wenig rau.
Erstaunt blickte ihre Mutter sie an.
»Es ist ...« Katharina räusperte sich. »Egbert ist am Leben«, stieß sie hervor. »Er ist hier in Nürnberg. Ich habe ihn gestern ...« Die Stimme versagte ihr.
Für eine Weile war es völlig still im Raum.
Dann klang von draußen das wütende Geschnatter einer einzelnen Ente herein, und das zerriss die Stille.
»Kind!«, murmelte Mechthild. In ihren Augenwinkeln erschienen Tränen. »Aber das ist doch wunderbar!« Sie griff fester zu, strich über Katharinas Handrücken. »Ich verstehe nicht, warum du so ... entsetzt aussiehst!«
Tat sie das? Katharina war versucht, einen zweiten Blick in den Spiegel zu werfen, aber von dort, wo sie saß, ging das nicht, und Mechthild hielt sie zu fest, als dass sie aufstehen konnte. So blieb ihr nichts anderes übrig, als in sich hineinzuhorchen.
Tatsächlich empfand sie so etwas wie Entsetzen.
Darüber, mit welcher Geschwindigkeit sich ihr Leben völlig verändert hatte. Darüber, dass sie sich nicht freuen konnte. Darüber, dass sie Richard würde beibringen müssen, was geschehen war ...
»Er hatte einen schweren Unfall, Mutter«, sagte sie.
»Er ist entstellt? Nun, das ist nicht das Schlimmste. Egal, wie er auch aussehen mag, er ist immer noch der Alte ...«
»Eben das ist er offenbar nicht mehr!«, fiel Katharina ihr ins Wort. »Er hat einen bösen Schlag auf den Kopf erhalten. Es scheint, als hätte ihn das verändert.«
»So?« Mechthild ließ unvermittelt Katharinas Hände los und stemmte sich ein wenig aufrechter in die Kissen. »Nun, wie dem auch sei. Er ist dein Mann. Und es ist seine Pflicht, sich um uns beide zu kümmern.«
Es bereitete Katharina ein seltsames Unbehagen, ihre Mutter so reden zu hören. Ausgerechnet Mechthild, die darauf bestanden hatte, jenen Mann zu heiraten, den sie liebte – völlig ungeachtet derTatsache, dass dieser Mann ausgerechnet der Henker von Nürnberg gewesen war.
»Wir müssen uns später weiter unterhalten«, meinte Katharina. »Ich habe gestern Abend etwas Wichtiges vergessen und muss kurz das Haus verlassen.«
»Wie soll es jetzt weitergehen?«, fragte ihre Mutter.
»Ehrlich gesagt, weiß ich das noch nicht. Egbert hat ein neues Haus gekauft, aber das ist noch nicht eingerichtet und auch ziemlich heruntergekommen. Ich werde sehen, dass ich all diese Dinge heute mit ihm bespreche, ja?«
»Wenn du länger wegbleibst, sagst du dann Ludmilla Bescheid, dass sie kommen soll?«
Katharina erhob sich. »Natürlich. Aber jetzt muss ich erst mal weg.« Sie beugte sich über ihre Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Als kurze Zeit später die Haustür hinter ihr ins Schloss fiel, atmete sie tief durch.
Auf dem Weg zu Marias Wohnung kamen ihr zwei Gruppen von Bewaffneten entgegen, zum einen ein Trupp Stadtsoldaten, deren Hände überraschend kampfbereit auf den Schwertgriffen lagen, und dann eine Anzahl Bürger, die allesamt ihr Schwert gegürtet hatten. Der Anblick erschreckte Katharina, denn so häufig sah man im Inneren der Stadtmauern keine bewaffneten Bürger, und wenn, dann wurden die Klingen mehr zu Repräsentationszwecken denn wirklich zum Kampfe getragen. Diese Männer hier wirkten jedoch streitsüchtig. Sie ähnelten in ihrer Verbissenheit jenen Kerlen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Brunnen vor der Vergiftung durch Juden zu bewachen.
Katharina hielt den letzten der Männer an. »Sagt«, bat sie, »was ist geschehen, dass Ihr Euch so gegürtet habt?«
Der Mann betrachtete sie von Kopf bis Fuß. »Habt Ihr es noch nicht gehört?«, stellte er eine Gegenfrage. »Gestern Abend kam es zu einem Zwischenfall in der Katharinenkirche. Eine
Weitere Kostenlose Bücher