Cherubim
Frage. Doch sie schüttelte nur den Kopf. »Nichts«, versicherte sie.
Und da sprang wieder dieser zornige Ausdruck in seine Augen. »Du lügst schon wieder!«, zischte er. So starr musterte er sie, dass Katharina nicht anders konnte, als seinem Blick auszuweichen. Langsam griff er nach seiner Hose.
»Gibt es einen anderen?«, hauchte er.
Katharina zuckte zusammen.
»Also doch!« So tonlos war Egberts Stimme jetzt, dass sie klang wie ein Flüstern. Seine Hände, seine Arme, sein gesamter Körper war voller Anspannung. Die Lippen zogen sich über die Zähne nach hinten. »Du hast in der Gegend rumgehurt, als ich nicht da war! Womöglich noch mit diesem Richard Sterner!« Er sprach noch immer leise, doch seine Worte trafen Katharina wie Hiebe.
»Ich habe geglaubt, du bist tot!«, murmelte sie. Sie wusste, dass sie hätte abstreiten müssen, mit Richard geschlafen zu haben, denn das wäre die Wahrheit gewesen. Kurz schoss ihr die Frage durch den Kopf, woher er eigentlich von Richard wusste. Aber sie fühlte sich einfach nicht in der Lage, ihn das zu fragen. Sie fühlte sich so unendlich schuldig, nicht, weil sie mit Richard im Bett gewesen wäre, sondern weil sie so viel mehr für ihn empfand als für ihren eigenen Mann. Egbert sah das schlechte Gewissen in ihrem Blick.
Langsam stieg er in seine Hose. Er blinzelte zweimal, und übergangslos verschwand der Zorn aus seinem Blick. Er wurde ersetzt von tiefer Traurigkeit. »Lass uns morgen darüber reden«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
»Wo willst du hin?«, murmelte Katharina.
»Ich arbeite noch ein bisschen«, antwortete er.
Und war im nächsten Moment fort.
Katharina versuchte, die bleierne Müdigkeit zu vertreiben, die nach ihren Gliedern griff und sie einzuhüllen drohte. Doch es war vergeblich. Ein ferner Schmerz erfasste ihren Unterleib, mehr wie eine Erinnerung denn wie eine wirkliche Empfindung.
Dann senkte sich Stille des Schlafes über sie und löschte alles Fühlen aus.
Obwohl Raphael nicht die erste Nacht in der Kammer unter dem Dach des Fischerhauses verbrachte, schlief er noch immer schlecht.
Er war die Stille nicht gewohnt. In seiner Wohnung am Rande des Spittlertorviertels hörte man immer etwas, sei es das Gezeter einer der Huren, die hier ihr Revier hatten, oder das Gebrüll der Betrunkenen, die auf dem Weg nach Hause waren. Oftmals rumpelten auchbeladene Karren durch die schmale Gasse vor dem Haus, denn viele der Gastwirte bekamen nachts oder in den frühen Morgenstunden ihre Ware geliefert. Und dann waren da noch die unzähligen Hunde, die bei Dunkelheit draußen angekettet wurden, um das eigene Hab und Gut zu bewachen. Ihr Gebell und Gejaule war im Laufe der Jahre zu einem stetigen Hintergrundgeräusch von Raphaels Schlaf geworden.
Und das fehlte ihm jetzt, denn wie jeder Raum in diesem verflixten Haus war sogar diese Dienstbotenkammer mit Fenstern mit richtigen Glasscheiben versehen. Nicht ein vernünftiger Laut drang hindurch!
Raphael verfluchte das Glas. Unruhig warf er sich von einer Seite auf die andere. Zog die Decke bis unter das Kinn hoch, um sie gleich darauf wieder von sich zu strampeln. Einmal schlief er ein und träumte von eine Meute Hunde, die ihn verfolgte und deren Beine immer länger und länger wuchsen, während seine eigenen mit jedem Schritt zu schrumpfen schienen. Als das erste geifernde Maul nur noch eine Handbreit hinter ihm war, erwachte er voller Schrecken.
Er fluchte erneut über die Glasscheiben. Dann fiel ihm ein, dass er das Fenster ja vielleicht öffnen konnte. Er strampelte die Decke von sich und stapfte auf Strümpfen über den knarrenden Fußboden. Die Fensterflügel öffneten sich nach innen, und es gab sogar kleine metallene Haken, mit denen man sie festmachen konnte, damit sie im Wind nicht klapperten.
Anerkennend nickte Raphael. Vielleicht war es doch gar nicht so übel, Fenster zu haben!
Er hakte beide Flügel fest und kehrte zufrieden in sein Bett zurück. Doch nach kaum einer Viertelstunde begann er in der kalten und feuchten Nachtluft elendiglich zu frieren.
Er warf die Arme über den Kopf. Fluchend wollte er gerade wieder aufstehen, als er unten auf der Gasse eine leise Stimme hörte.
»Pst!«
Er rührte sich nicht, weil er vermutete, dass ein nächtlicher Spaziergänger nach jemandem rief. Doch die Stimme erklang ein weiteres Mal. »Pst!« Und dann fügte sie hinzu: »Raphael! Bist du da?«
Erstaunt darüber, wer wissen konnte, dass er sich in diesem Hausaufhielt, blieb er noch
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