Cherubim
sie auf das Bett.
Katharina erstarrte. Aus weit aufgerissenen Augen blickte sie ihren Mann an, wohl wissend, dass sie keine Möglichkeit hatte, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. »Egbert!«, flüsterte sie mit erstickter Stimme.
Das endlich brachte ihn zur Besinnung. Wie von einem Hieb getroffen zuckte er zusammen. Das Funkeln aus seinen Augen verschwand und auch die Wut.
Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch er schaffte es nicht. Er schloss den Mund wieder. Dann wandte er sich mit einem Ruck ab und trat ans Fenster.
Eine ganze Weile stand er da, bewegungslos, bis Katharina begriff, was das schwache Zittern seiner Schultern bedeutete, das sie von ihrer Position auf dem Bett aus sehen konnte.
Er weinte.
Langsam setzte sie sich auf.
»Verzeih mir!«, hörte sie ihn flüstern. »Verzeih mir, dass ich zu schwach bin, um mit deiner Krankheit zu leben.« Er wandte sichum. Seine Augen schwammen in Tränen, und in Katharinas Herzen keimte Mitleid. Es verdrängte das Entsetzen darüber, was er ihr soeben beinahe angetan hätte. »Du bist stärker als ich, Katharina. Du bist es schon immer gewesen. Glaubst du, du kannst auch stark genug sein, um deinen Mann mit seiner Krankheit zu ertragen?« Er legte den Zeigefinger auf seine Stirn, um zu verdeutlichen, welche Krankheit er meinte, und zum ersten Mal ging Katharina auf, dass er sich seiner Stimmungsschwankungen und Wutausbrüche sehr wohl bewusst war.
Anders als Mirjam war er nicht verrückt, sondern einfach nur ... verletzt.
Katharina erhob sich. Zögernd trat sie vor ihren Mann hin und blickte ihn an. Die Tränen ließen das Blau seiner Augen silbrig wirken.
»Glaubst du, du kannst das, Katharina?«, hauchte er und streckte die Hand nach ihr aus, als suche er nach Halt.
Sie spürte sich selbst nicken. Dann spürte sie, wie Egberts Finger die ihren berührten. Alles rückte in unendlich weite Ferne. Sie glaubte sich selbst dabei zusehen zu können, wie sie sich von Egbert umarmen ließ. Sie sah zu, wie er sie zum Bett zog und ein zweites Mal darauf niederdrückte. Zärtlicher diesmal.
Und sie beobachtete sich selbst dabei, wie sie die Augen schloss, als seine Hand den Weg unter ihren Rock fand.
In ihrem Kopf jedoch war nur Platz für einen einzigen Gedanken.
Richard!
Später – sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war – lag sie neben ihrem Mann in den Kissen und starrte mit leerem Blick gegen die Decke.
Egbert hielt ihre Hand und streichelte ab und an darüber, während er ihr erzählte, wie sie mit seiner neu gefundenen Medizin reich werden würden.
»Hohenheim wird mich beneiden!«, lachte er. »Glaubst du das?« Er rollte herum, stützte den Kopf in die Hand und schaute auf Katharina hinunter. Früher hatte sie es geliebt, wenn er sie so ansah.
Heute berührte es sie nicht im mindesten.
In ihr war alles taub. Sie nickte mühsam.
»Er hat sich Raphael genauestens angeschaut«, erzählte Egbert und lachte leise.
Sie bemühte sich, bei diesem Lachen etwas zu empfinden, so, wie sie es früher getan hatte. Es ging nicht.
»Ich glaube, am liebsten hätte er ihn in Scheiben geschnitten, um auch noch das letzte Geheimnis seines Körpers aus ihm herauszuholen!«
Katharina zuckte zusammen bei diesen Worten.
Erschrocken rief Egbert: »Verzeih! Das war sehr unpassend.«
Und Katharina dachte: Ja, das war es. Weil es zeigt, dass du nichts, rein gar nichts von mir weißt. Sie schluckte.
»Er möchte gerne auch die Priorin untersuchen«, murmelte sie.
»Ich weiß. Er hat mir von ihr erzählt. Glaubst du, du schaffst es, ihm die Genehmigung dafür zu beschaffen?«
Katharina zwang sich, nicht die Augen zu schließen. »Ich weiß es nicht. Eigentlich leben die Nonnen in strenger Klausur. Aber ich habe das Gefühl, dass sie es selbst gar nicht so ernst damit nehmen.« Sie dachte an Schwester Rubinia und was sie über das Öffnen der Pforte im Lettner gesagt hatte.
»Versuch es!«, bat Egbert sie. »Es würde Wilhelm bei seinen Studien sehr weiterhelfen. Und vielleicht auch seiner Frau!«
Unendliche Müdigkeit stieg in Katharina auf. Sie nickte. »Ich werde es versuchen«, murmelte sie.
Sie spürte, wie Egbert sich erhob. »Du siehst erschöpft aus«, sagte er mitfühlend. »Schlaf ein bisschen!« Er beugte sich über sie und küsste sie sanft auf die Stirn, und sie konnte nicht anders, sie zog sich von ihm zurück.
Da endlich bemerkte er ihre Abwehr. »Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?«
Fast hätte sie angefangen zu lachen, bei dieser
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