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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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noch einmal: »Stehenbleiben!«, dann wurde es still.
    So still, dass sich Katharinas Haare aufstellten.
    Für einen Augenblick vermochte sie sich nicht zu rühren, sondern stand wie zu Stein erstarrt, die Füße auf dem kalten Fußboden und die Hände um den Rand der Fensterbank gekrallt. Dann riss sie sich zusammen.
    Auf bloßen Füßen huschte sie zur Tür ihrer Kammer, dann hinaus auf den Flur und die Treppe hinunter.
    Die Küchentür stand offen und ebenfalls die Hintertür, die auf den Hof hinausführte. Dunkelheit umfing Katharina. Dunkelheit und Kälte.
    »Egbert?«, rief sie zaghaft.
    »Ja. Ich bin hier. Komm ruhig, Katharina. Ich brauche deine Hilfe.« Etwas zitterig erklang seine Stimme von draußen.
    Katharina beeilte sich, seiner Aufforderung nachzukommen. Mit ausgestreckten Händen tastete sie sich durch die finstere Küche, hin zu der Tür, die durch das Licht der Sterne als Umriss schwach zu erkennen war. Ihre Fußsohlen brannten von der Kälte, die von dem steinernen Fußboden aufstieg, aber sie achtete nicht darauf, sondern trat hinaus auf die oberste der drei Stufen, die von hier aus in den Hof führten. Undeutlich nur sah sie Egberts Umrisse. Er beugte sich über etwas Großes, Unförmiges. »Was ist geschehen?«, fragte sie und konnte hören, wie ihre Stimme zitterte.
    »Hol Licht!«, befahl er.
    Katharina gehorchte. Mit vor Kälte und Anspannung zitternden Fingern entzündete sie ein einfaches Talglicht an der Glut des Herdfeuers. Sie schirmte es mit der Hand gegen den eisigen Luftzug ab, der durch die Küchentür nach drinnen drang. Auf diese Weise tappte sie wieder nach draußen.
    Und erstarrte.
    Das flackernde Lampenlicht riss nicht viel mehr aus der Finsternis als Egberts Gesicht. Ein blutiger Streifen zog sich quer über seine Wange und sein halbes Kinn.
    »Oh mein G...«
    »Nicht so schlimm!«, sagte er knapp. »Leuchte mal hier runter!« Er wies auf den unförmigen Gegenstand vor sich.
    Wieder gehorchte Katharina. Und diesmal stieß sie ein leises Wimmern aus.
    Beine sah sie – lang ausgestreckt das eine und verdreht darunter das andere.
    Sie wusste, was das zu bedeuten hatte, noch bevor sie erkannte, zu wem diese Beine gehörten. Mit einer Hand auf den Mund gelegt, trat sie neben Egbert.
    Und blickte im zitternden Licht der Lampe auf Raphael hinab.
    Er lag halb auf dem Rücken, den Kopf in den Nacken geworfen, so dass sein Körper wie auf ein Rad gespannt aussah. Ein großer Blutfleck zierte seine Seite, ein zweiter an seiner Kehle erklärte das grausame Gurgeln, das Katharina gehört hatte. Leer und tot blickte eines seiner Augen gen Himmel. Das andere war fort. Dunkel gähnte die leere Höhle, und blutiger Schleim hatte sich als breite Spur quer über Raphaels Schläfe und bis hinab in die Haare gezogen.
    »Ich konnte es nicht verhindern«, murmelte Egbert und beugte sich nun vornüber, als verspüre er große Schmerzen.
    Katharina griff nach seinem Arm und erschrak. Auch seine Hände waren blutig! »Lukas!«, schrie sie so laut, wie sie konnte.
    Auf dem Grundstück des Nachbarhauses begann ein Hund zu bellen, und Katharina schoss durch den Kopf, was für ein dämliches Vieh es doch war. Hätte es nicht ein bisschen früher Laut geben können? Bevor der Mörder seinen finsteren Plan ausgeführt hatte?
    Ein krächzendes Geräusch entrang sich ihrer Kehle, und sie fühlte sich, als würde sie gleich den Verstand verlieren.
    »Reiß dich zusammen!«, befahl Egbert, dann schrie auch er: »Lukas!« Seine Stimme dröhnte durch den nächtlichen Hinterhof.
    Das Gebell des Hundes steigerte sich zu einem irren Geifern. In den Nachbarhäusern wurden die ersten Fenster geöffnet.
    »Was ist denn?« Lukas’ verschlafene Stimme kam aus der Küche.
    »Deinen Schlaf möchte ich haben!«, murmelte Katharina. Sie fühlte sich leicht, als könne sie im nächsten Moment abheben und anfangen zu schweben. In ihrem Kopf drehte sich alles. Plötzlich musste sie ein Kichern unterdrücken.
    Als Lukas an der Hintertür erschien und sah, was geschehen war, da hatte sie sich wieder im Griff. »Helft dem Doktor!«, sagte sie und rappelte sich selbst auf. »Wir müssen ihn reinbringen!«
    Ihre Zähne klapperten aufeinander, und sie vermochte nicht zu sagen, ob es wegen der Kälte oder wegen der furchtbaren Ereignisse war.
    Gemeinsam mit Lukas packte sie Egbert unter den Achseln und half ihm auf die Füße.
    »Ich kann allein gehen!«, protestierte er, doch Lukas und Katharina bugsierten ihn die drei Stufen hinauf,

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