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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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hatte.
    Ludmilla lachte erneut. »Nein. Das konnte er wahrscheinlich wirklich nicht.«
    »Er wurde Opfer eines Vagantenüberfalls«, erzählte Katharina. Plötzlich wanderten ihre Gedanken zurück. Zurück zu jenem Tag, an dem es an der Tür ihres Hauses geklopft hatte und dieser junge Mann vor ihr stand. Sie hörte wieder seine Stimme, und sie sah ihn vor sich, wie er die Mütze in den Händen drehte und den Blick starr auf den Fußboden vor ihren Füßen richtete. »Mein Name ist Lukas von Minden. Ich komme mit Nachrichten von Eurem ... Mann«, sagte er mit Flüsterstimme. Sie wusste augenblicklich, dass etwas Furchtbares geschehen war. Langsam wanderten ihre Hände nach oben, hielten kurz vor ihrem Gesicht an. Ihre Augen weiteten sich, suchten den Blick des jungen Mannes.
    Er schaute auf. Ihr direkt in die Augen.
    »Er ist tot«, hauchte Katharina. Sie konnte den Blick nicht von seiner Hasenscharte lassen. Eine breite Lücke klaffte in Lukas’ Oberlippe, durch die ein Schneidezahn zu sehen war.
    Der junge Mann nickte. Hinter seinen Lidern glänzten Tränen. »Er war auf der Rückreise zu Euch. Wir wurden in einem Wald bei Köln von Strauchdieben überfallen.« Er senkte den Blick wieder. »Es tut mir leid, aber er starb an seinen Verletzungen. Das Letzte, was er gesagt hat, war: Sag Katharina, dass ich sie trotzdem geliebt habe.«
    Katharina hatte nicht geweint. Nicht vor dem jungen Mann ...
    »Ludmilla?« Mechthilds Stimme schnitt durch Katharinas Erinnerungen wie ein Messer. »Bist du noch da?«
    Ludmilla schenkte Katharina einen letzten mitleidigen Blick. Kurz tätschelte sie ihre Hand, und es war diese herzlich gemeinteGeste, die Katharina schon wieder Tränen in die Augen schießen ließ.
    »Es wird besser werden, glaub mir!«, sagte sie, dann rief sie: »Ja, meine Liebe! Bin ich noch.« Und sie ging zu Mechthild in die Kammer zurück und schloss die Tür hinter sich.
    »Kein so aufregender Anblick von dieser Seite her!«
    Die tiefe Stimme des Bauern, der Lukas von Minden seit Fürth auf seinem Karren mitfahren ließ, riss diesen aus seinem Halbschlaf.
    »Was?« Verwirrt blickte Lukas auf. Das Schaukeln der beiden Ochsenhinterteile vor seiner Nase hatte ihn eingelullt, und seine Augen waren beinahe zugefallen, obwohl der Wind ihm kalt um die Nase und die Ohren pfiff und es auf dem Bock des Karrens alles andere als bequem war.
    Der Bauer deutete mit dem Peitschenstiel auf die Mauern von Nürnberg, die vor ihnen aufragten. »Ich meine die Kaiserburg. Von dieser Seite her sieht sie nicht besonders großartig aus.«
    Lukas hob den Blick. Der Mann hatte recht. Von dieser Richtung aus gesehen, verbarg sich die Burg hinter einer ganzen Reihe von Bäumen, die um diese Jahreszeit allesamt völlig kahl waren. Die Stadtmauern zu Füßen der Burg wirkten grau und trostlos, alles in allem ein eher bedrückender Anblick.
    »Was soll es!« Lukas zog seine Mütze vom Kopf, kratzte sich in den Haaren. Dann richtete er sich auf und streckte den schmerzenden Rücken. »Ich bin ohnehin nicht zum Vergnügen hier.«
    Der Bauer, der sich Lukas mit Namen Martin vorgestellt hatte, warf ihm einen neugierigen Seitenblick zu. Bereits kurz nach der Abfahrt in der Nähe von Fürth hatte er Lukas nach dem Grund für seine Reise gefragt, aber da hatte Lukas ihn mit einem ziemlich unfreundlichen Brummen abgewimmelt. Ohnehin hatte er die ganze Fahrt über recht wenig gesprochen, und so hatte Martin es irgendwann aufgegeben, irgendetwas aus ihm herauszubekommen, und sich ebenfalls in Schweigen gehüllt. Jetzt war ihm deutlich anzusehen, dass er auf einen kleinen Schwatz hoffte.
    Lukas beschloss, ihm den Gefallen zu tun. »Ich treffe in der Stadt jemanden«, erklärte er. Immerhin hatte Martin ihn den ganzen Wegbis hierher auf seinem Karren mitfahren lassen, und er hatte bisher noch nichts von Bezahlung gesagt. Und außerdem hatte Martin kein einziges Wort darüber verloren, dass Lukas’ Gesicht verunstaltet war. Martin nickte. Sein breites Gesicht mit der platten Nase verzog sich zu einem Grinsen. »Eine Frau?«
    Lukas schüttelte den Kopf, aber er musste jetzt doch lächeln, auch wenn seine Laune bis zu diesem Moment eher gedämpft gewesen war. »Ich sagte doch, ich bin nicht zum Vergnügen hier.« Und in Gedanken fügte er hinzu: Welche Frau würde mich schon wollen, mit diesem Gesicht?
    In seiner Oberlippe klaffte ein breiter Spalt, durch den man seinen rechten Schneidezahn sehen konnte. Zu Lukas’ Glück betraf dieser Spalt nur seine

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