Cherubim
Zeichnungen, die ich geschenkt bekommen habe.«
»Geschenkt? Von wem?«
»Von einem Mann namens Richard Sterner.« Es versetzte Katharina einen schmerzhaften Stich, diesen Namen auszusprechen. Sie hatte Sterner im August kennengelernt, und für kurze Zeit, nachdem die ganze schlimme Angelegenheit mit den Engelmorden überstanden war, hatte sie geglaubt, in ihm einen Seelenverwandten gefunden zu haben.
Ludmilla lächelte. »Ein Mann, der dir Geschenke macht?« Sie freute sich sichtbar darüber. Keine Spur von Missbilligung lag in ihren Zügen, obwohl Egbert, Katharinas Ehemann, noch kein ganzes Jahr tot war und es sich eigentlich nicht schickte, auch nur einen Gedanken an einen anderen Mann zu verschwenden.
»Es ist nicht so, wie du denkst«, wehrte Katharina ab.
»Ach? Wie ist es dann?«
Das war eine Frage, die Katharina nicht zu beantworten wusste. Wie war ihre Beziehung zu Richard Sterner? Seit Wochen schon hatte sie ihn nicht mehr gesehen, hatte ihn, mit Mühe zwar, aber doch recht erfolgreich, aus ihrem Denken verbannt. Jetzt von Ludmilla mit dieser Frage konfrontiert, verspürte Katharina ein geradezu brennendes Verlangen, Richard gegenüberzustehen, ihm in die dunklen Augen zu blicken und dort einen Abglanz der Traurigkeit zu sehen, die sie selbst so unvermittelt wieder empfand.
Einen Moment lang suhlte sie sich in dieser Empfindung, bis ihr aufging, dass Ludmilla tatsächlich auf eine Antwort wartete.
Was sollte sie sagen? Dass Richards Anblick allein ausreichte, in ihr die Angst vor der Rückkehr der melancholia mit solcher Macht zu entfachen, dass sie es schließlich nicht mehr ausgehalten hatte, in seiner Nähe zu sein?
Sie unterdrückte ein Seufzen.
Jetzt war die melancholia wieder da, und Richard hatte nicht den geringsten Anteil daran. Es war alles wirklich so verflixt kompliziert!
Sie winkte ab. »Es ist kompliziert«, meinte sie lahm.
Mit kleinen, flinken Bewegungen ihrer Augäpfel tastete LudmillaKatharinas gesamtes Gesicht ab. »Du siehst wirklich nicht gut aus!«, bemerkte sie. »Du bist blass. Und deine Augen wirken so – leer. Bist du sicher, dass es dir gutgeht?«
»Ja, ja.« Katharina stellte die Mappe zurück an ihren Platz auf dem Regal. Sie war froh, dass Ludmilla nicht danach verlangte, die Zeichnungen zu sehen. Wenn sie zu Gesicht bekäme, was auf ihnen abgebildet war, würde sie Katharina auf der Stelle in eines der Irrenhäuser der Stadt bringen lassen.
Um das Gespräch von sich abzulenken, deutete sie auf die Tür zu Mechthilds Kammer. »Du bist bei ihr geblieben, als sie eingeschlafen ist.«
»Ja. Manchmal sitze ich gern an ihrem Bett und sehe ihr zu, wie sie schläft. Sie sieht dann ganz anders aus als im wachen Zustand, ist dir das schon einmal aufgefallen?«
Katharina schüttelte den Kopf und wunderte sich nicht zum ersten Mal, mit wie viel Zärtlichkeit Ludmilla von ihrer Mutter sprach. »Sie trauert noch immer um Bertram«, sagte sie leise.
Ludmilla nickte, ließ den Blick jedoch nicht von Katharinas Gesicht. »Und du?«
»Ich habe nie um Bertram getrauert!« Vehement sagte Katharina das, fast wütend.
»Dummchen!« Ludmilla lachte auf. »Ich meinte doch Egbert. Trauerst du immer noch um ihn?«
Katharina lauschte in sich hinein. Die Wahrheit war: Sie war seit längerem nicht mehr traurig gewesen, wenn sie an Egbert gedacht hatte. Manchmal, wenn sie die Augen schloss, war ihr Richards Gesicht erschienen, nicht das ihres toten Mannes. »Er ist erst ein paar Monate tot«, flüsterte sie.
»Mechthild hat mir gesagt, er hat dich früher nicht besonders freundlich behandelt.«
Katharina runzelte die Stirn. »Sie glaubt das nur«, widersprach sie. »Weil sie mich ein paarmal im Schlaf hat reden hören. Ich habe wohl mit Egbert gestritten.«
»Immerhin ist er eines Tage einfach fortgegangen.« Obwohl Ludmillas Worte in Katharinas Ohren unversöhnlich klangen, war der Ausdruck in ihren Augen nach wie vor mitfühlend und warmherzig.Sie wollte ihr helfen, vermutete Katharina. Helfen, Egbert hinter sich zu lassen. Und sich Richard zuzuwenden.
»Egbert konnte nichts dafür, dass er in der Fremde gestorben ist.« Katharina lauschte ihren eigenen Worten nach und begriff, dass es genau das war, was sie ihrem Mann insgeheim immer noch vorwarf. Dass er fortgegangen war, ohne sich von ihr zu verabschieden oder ihr auch nur einen Grund für sein Fortgehen zu hinterlassen. Und dass er dann in der Fremde gestorben war und sie auf diese Weise voller Fragen zurückgelassen
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