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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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eingegangen, die er ihr häufig machte. »Ich? Was? Ja, ja, schon gut!«, murmelte er und rieb sich mit dem Knöchel des Daumens über die Stirn.
    Maria trat zu ihm an die Theke. Um diese frühe Tagesstunde war die Schankstube noch leer, doch aus Erfahrung wusste die Hure, dass sich das bald ändern würde. Niklas bot neben Bier auch den ganzen Tag über warmes Essen an, und es gab nicht wenige, die hierherkamen, um sich ein Mittagsmahl zu gönnen. Was im übrigen auch der Grund für Maria war, ihre Arbeit schon am Vormittag aufzunehmen. Irgendwann hatte sie herausgefunden, dass etliche ihrer Kunden –
    vermutlich die verheirateten – ihre Dienste lieber in einer raschen Arbeitspause in Anspruch nahmen statt am Abend. Maria vermutete, dass sie auf diese Weise ihren Ehefrauen gegenüber besser verheimlichen konnten, dass sie zu einer Hure gingen.
    »Was ist los?«, fragte sie den Wirt, der mit großen Augen zur Hintertürstarrte, als fürchte er, dort im nächsten Moment den Leibhaftigen auftauchen zu sehen.
    Niklas schluckte schwer. Aber bevor er antworten konnte, wurde die Tür von außen geöffnet.
    Maria erschrak, als sie sah, wer vom Hof her die Schankstube betrat. Es waren zwei Stadtbüttel. Und Maria kannte beide. Einer von ihnen hatte schiefstehende Zähne und schorfige Lippen, mit denen ihre empfindlichsten Hautpartien bereits des öfteren Bekanntschaft gemacht hatten. Unwillkürlich schüttelte sie sich. »Ludwig!«, sagte sie, als der Blick des Büttels auf sie fiel. Sie neigte den Kopf zu einem Gruß.
    Er starrte sie nur an. Schweiß stand ihm auf der Oberlippe, und seine Augen wirkten geweitet und angstvoll. Dann endlich begriff er, wen er vor sich hatte. »Maria!«
    Der zweite Büttel war Maria ebenfalls bekannt, jedoch nicht als Kunde, sondern weil er sie einmal festgenommen hatte, als der Stadtrat versucht hatte, die Hurerei in den Mauern unter Kontrolle zu bekommen.
    Ihr Zuhälter hatte sie mit einem beträchtlichen Geldbetrag ausgelöst, kurz bevor dieser zweite Büttel dazu gekommen war, sie ins Lochgefängngis zu stecken. Sein hervorstechendstes Merkmal waren seine blonden Haare. Starr und wirr wie Strohhalme standen sie ihm vom Kopf ab, sobald er den Helm abnahm. Er ignorierte Maria.
    Mit finsterem Gesicht stapfte er an ihr vorbei. Auch sein Blick wirkte unstet, huschte von rechts nach links, als sähe er irgendwelche Teufel in den Ecken sitzen.
    Maria hatte keine Zeit, sich über das seltsame Verhalten der beiden zu wundern, denn der Mann, der nun als Letztes den Schankraum betrat, ließ ihr Herz hüpfen. Groß war er, so groß, dass er sich unter der niedrigen Tür hindurchducken musste. Als er sich in der Schankstube wieder aufrichtete und seine langen schwarzen Haare nach hinten über die Schulter warf, fiel sein Blick auf Maria.
    »Maria!«, grüßte er sie. In seinen grünen Augen stand ein unergründlicher Ausdruck, und sehr kurz hatte Maria das Gefühl, hinter seine Fassade aus kühler Selbstbeherrschung blicken zu können. War es Trauer, die sie dort sah?
    Sie erwiderte seinen Blick einen winzigen Moment zu lang. Er blinzelte, und fort war das Gefühl, das sie eben nicht richtig hatte zuordnen können.
    »Arnulf!«, grüßte sie ihn.
    Er war ein Mann der Nürnberger Unterwelt, ein Nachtrabe. Er war Marias Zuhälter.
    Hinter Maria stieß Niklas ein kurzes Stoßgebet hervor.
    Plötzlich war Maria sich ganz sicher, dass etwas Furchtbares geschehen war. »Arnulf?«, flüsterte sie.
    Doch er achtete nicht auf sie. Stattdessen wandte er sich an die beiden Büttel. »Ihr habt Euren Lohn erhalten, und er war fürstlich.« Er deutete zur Hintertür. »Ich erwarte, dass ihr vergesst, was ihr soeben dort hineingebracht habt!«
    Trotz der Anspannung, die Maria ergriffen hatte, bemerkte sie die wohlgesetzte Sprache, derer Arnulf sich bediente. Er war in der Lage, von einem Augenblick auf den anderen zwischen dem vornehmsten Gerede und einem wüsten Gossenton zu wechseln.
    Ludwig nickte, und er schluckte dabei so heftig, dass Maria es hören konnte.
    Arnulfs Blick richtete sich auf den anderen Mann. Eilig nickte auch der.
    Arnulf wirkte zufrieden. »Gut. Geht jetzt!«
    Die beiden gehorchten, und nachdem die Wirtshaustür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, breitete sich eine düstere, drückende Stille in der Schankstube aus.
    Jetzt erst wandte Arnulf sich an Maria. Kurz hob sich noch einmal der Schleier der Selbstbeherrschung, und da schlug Maria der Schmerz aus seinem Blick mitten ins

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