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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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unseres heiligen Sebaldus versteckt. Eigentlich dürfte ich Euch das nicht erzählen, aber ich will ja schließlich nicht, dass Ihr mich für einen herzlosen Kerl haltet.« Erlächelte. Es sollte gewinnend aussehen, vermutete Katharina, aber auf sie wirkte es nur schmierig.
    Dann wies Silberschläger auf die Tür. »Ich bitte Euch, Stillschweigen über diese Sache zu wahren. Wir wollen doch nicht, dass die Bürger sich beunruhigen, nicht wahr?«
    Verwirrt nickte Katharina.
    Endlich trat Silberschläger ein wenig zurück, so dass er ihr nicht mehr ganz so nah war. »So leid es mir tut, ich muss Euch jetzt bitten zu gehen!«
    Sie begriff, dass sie hier nichts weiter würde ausrichten können. Dennoch konnte sie nicht einfach gehen, ohne einen letzten Versuch zu machen. »Was glaubt Ihr denn, wer einen Mann wie H... wie diesen Bettler umbringen würde?«
    Silberschläger zuckte die Achseln. »Was weiß ich! Die Juden höchstwahrscheinlich. Die stecken doch hinter allem Übel, das die Stadt befällt!«

8. Kapitel
    Als Katharina nach dem Treffen mit Silberschläger ins Henkershaus zurückkehrte, schlief ihre Mutter. Deutlich hörbar drang regelmäßiges Schnarchen aus der hinteren Kammer. Katharina legte Mantel und Haube ab, huschte so leise, wie sie es vermochte, die Treppe hinauf und warf sich auf ihr Bett, um in Ruhe nachdenken zu können.
    Draußen am Ufer der Pegnitz, die unter dem Haus hindurchfloss, erklangen Kinderlärm und fröhliches Lachen. Es erreichte Katharina kaum, sosehr kreisten ihre Gedanken um die Begegnung mit Bürgermeister Silberschläger. Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte gegen die niedrige Balkendecke, wo eine kaum fingernagelgroße Spinne in ihrem Netz saß. Das Tier hatte im Spätherbst mit dem Bau dieses Netzes angefangen, und Katharina hatte es nicht übers Herz gebracht, sie zu töten oder auch nur, sie aus dem Fenster zu werfen. Im Laufe der letzten Wochen war das Tier ihr eine Art Begleiterin geworden.
    Als sie die Lider für einen Moment schloss, flammten dahinter Bilder auf. Leichen mit Flügeln. Leichen ohne Augen. Leichen mit Matthias’ Gesicht und welche mit dem von Heinrich.
    Rasch riss Katharina die Augen wieder auf. In ihrem Magen rumorte es noch immer, aber es war nicht dieses körperliche Unbehagen, das sie am meisten quälte, sondern ein seelisches. Aufmerksam lauschte sie in sich hinein, versuchte zu ergründen, ob es reine Traurigkeit war, die ihr plötzlich die Tränen in die Augen trieb, oder ob eine andere Ursache dahintersteckte.
    Eine, die sie fürchtete wie der Teufel das Weihwasser.
    Sie blinzelte, weil ihre Augen überzulaufen drohten.
    Früher. Vor den Engelmorden.
    Damals hatte sie unter melancholia gelitten, einer Krankheit, diesich in ständiger Traurigkeit, in Müdigkeit und einer schier unerträglichen Mattigkeit äußerte. Kein Medicus war in der Lage gewesen, ihr zu helfen, nicht einmal ihr eigener Mann, der in Antwerpen Medizin studiert hatte. Und nicht einmal ihm hatte sie erklären können, was sie empfand, wenn diese Krankheit sie in ihren Griff nahm. Ihrem Bruder Matthias gegenüber hatte sie es einmal als »Spinnweben in ihrem Kopf« bezeichnet, und es war das einzige Bild, das dem Grau in ihrer Seele einigermaßen gerecht wurde.
    Doch dann waren die Engelmorde passiert, und so unverständlich es schien: Sie hatten mit ihrer Grausamkeit alle Spinnweben aus ihrem Kopf gefegt, hatten die melancholia verschwinden lassen wie Schnee in der warmen Sonne. Nichts war zurückgeblieben bis auf die permanente Angst, die Spinnweben könnten irgendwann genauso unvermittelt wiederkehren, wie sie verschwunden waren.
    Und wie es aussah, war dieser Moment jetzt gekommen.
    Katharina wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Sie spürte die Spinnweben nahen. Es war, als krieche ein winziges Tier in ihrem Kopf aus dem Versteck, in dem es sich fast drei Monate verborgen gehalten hatte, und beginne damit, ihre Gedanken in einen Kokon aus grauen, klebrigen Fäden zu hüllen.
    Mit einem Ruck setzte Katharina sich auf. Sie starrte die Spinne in ihrem Netz an, und auf einmal konnte sie die Nähe des Tieres nicht mehr ertragen. Sie erhob sich, zog sich einen Schuh aus und hob ihn an. Dann jedoch gefror sie.
    Ihr Verstand sagte ihr, dass das arme Tier nichts für ihre Krankheit konnte, aber dennoch schrie alles in ihr, sich seiner zu entledigen. Sie ließ den Schuh sinken. Dann zog sie ihn wieder an, holte ihr Taschentuch aus der Rocktasche und kletterte

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