Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
unter ihren Achselhöhlen festgesteckt, und die Hände waren züchtig über der Brust gefaltet.
    Richard baute sich vor der Toten auf, stellte seine Tasche auf den Boden und unterdrückte ein tiefes Seufzen. Seine Hände hingen lose neben seinem Körper herab, und Richard konnte das Zittern nahen fühlen.
    Arnulf legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß zu schätzen, dass du das hier für mich tust«, sagte er leise.
    Zu seiner eigenen Überraschung verspürte er, wie am Tag zuvor, als er auf dem Weg nach St. Sebald gewesen war, diesen Anflug von Erregung, das Verlangen danach, wieder zu sezieren. Er versuchte, diese Regung zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. Ekel erfasste ihn stattdessen. Ekel vor sich selbst.
    »Es ist in Ordnung«, behauptete er Arnulf gegenüber. »Seit ich Katharina durch meine Kunst zu retten vermochte, sind die Zweifel weniger geworden.« Früher hatte er gefürchtet, durch die anatomischen Studien sein Seelenheil aufs Spiel zu setzen. Die zitternden Finger waren Ausdruck dieser Angst gewesen. Nachdem sie den Engelmörder überwunden hatten, hatte er verblüfft festgestellt, dass das Zittern fort war – und mit ihm die Furcht, verdammt zu sein.
    Beides glaubte er hinter sich gelassen zu haben. Bis jetzt.
    »Das ist gut«, meinte Arnulf, warf aber einen skeptischen Blick auf Richards zitternde Finger.
    Richard wandte den Kopf und musterte den Freund. Dessen kantiges Gesicht war ausdruckslos, doch in seinen Augen tobten Gefühle. Unbehagen. Entschlossenheit. Und Trauer.
    Vor allem Trauer.
    Richard begriff, dass Arnulf eine ganze Menge mehr für Dagmar empfunden haben musste, als es einer gewöhnlichen Hure gegenüber angebracht war.
    »Bist du sicher, dass du dabei sein willst?«, fragte er vorsichtig.
    Arnulf richtete den Blick auf Dagmars entstelltes Gesicht, und es kam Richard so vor, als wolle er sich mit dem grässlichen Anblick gegen die Dinge wappnen, die folgen sollten. Seine Kiefer mahlten aufeinander, und unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen. »Ich will jede Einzelheit mit eigenen Augen sehen«, sagte er nach einer geraumen Weile.
    »Es wird nicht einfach werden«, warnte Richard. Bei Gott, ihm selbst klopfte das Herz ja schon bis zum Hals! Wie mochte es da erst in Arnulf aussehen? Er ballte die Hände zu Fäusten, weil das Zittern stärker wurde.
    »Nichts ist einfach.« Arnulf sprach die drei Worte mit einer Endgültigkeit, die Richard einen Schauer über den Rücken sandte. »Fang endlich an!«
    Da griff Richard nach der Tasche neben seinen Füßen. Er sah sich um, fand ein großes Fass, das Niklas direkt neben Dagmars Bahre abgestellt hatte, und hob die Tasche dort hinauf.
    Dann öffnete er sie und entnahm ihr seinen Inhalt. Messer und Skalpelle in verschiedenen Größen. Zwei verschieden große Sägen für Knochen. Einen ganzen Stapel weißer Leintücher zum Auffangen von Körperflüssigkeiten für den Fall, dass irgendwelche Höhlungen, die er öffnen musste, sich noch nicht verfestigt hatten. Mehrere Schalen und Gefäße, in die er die Dinge legen konnte, die er bei seiner Arbeit abschnitt oder entfernte.
    Und nicht zuletzt einen kleinen Krug mit Minzöl. Ihn entkorkte er, stellte ihn neben Dagmars Kopf auf die Bahre. Der scharfe Geruch der Minze erfüllte die Luft.
    Fragend runzelte Arnulf die Stirn.
    »Das ist gegen den Gestank«, erklärte Richard ihm.
    Arnulfs Gesicht verlor einen Teil seiner Farbe.
    Richard wusste, dass er ihn beschäftigen musste. Er deutete auf die Kerzen. »Zünde sie an!«, befahl er.
    Niklas hatte auf einem der Regale eine Zunderbüchse liegen lassen, aber Arnulf entzündete die Kerzen einfach an jener, die bereits brannte.
    Richard betrachtete die Reihe der winzigen Flammen, dann überblickte er seine Sammlung von Klingen und entschied sich für eine der größeren.
    Sie nahm er zur Hand. »Bereit?«, fragte er Arnulf.
    Der nickte grimmig. »Nein«, sagte er jedoch.
    Richard schenkte ihm ein kurzes, aufmunterndes Lächeln. »Also dann.« Er wusste, was Arnulf am meisten interessierte.
    Das Kind.
    Dennoch zögerte Richard, sich sofort Dagmars flacher Bauchdecke zuzuwenden. Es war eine Weile her, dass er die letzte Sektion durchgeführt hatte. Besser, er begann an einer Stelle, bei der er nicht viel kaputt machen konnte.
    Kurz betrachtete er die funkelnde Spitze seines Skalpells. Seine Hand zitterte jetzt wie die eines Greises, und er drehte sich so, dass Arnulf es nicht sehen konnte.
    Dann sprach er ein kurzes Stoßgebet und

Weitere Kostenlose Bücher