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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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die er als Bürgermeister zu erledigen hatte. Zwischen all den Papieren und Pergamenten jedoch stand ein kleines, massiv wirkendes Kästchen mit einem kompliziert aussehenden Schloss.
    Silberschläger seufzte, als er es ansah.
    Dann trat er vor seinen Schreibtisch hin, zog einen kleinen Schlüssel hervor, den er an einer Kette um den Hals trug. Er hatte es sich angewöhnt, diese Kette niemals abzulegen, nicht einmal, um damit das Kästchen aufzuschließen. Aus diesem Grund musste er sich recht unbequem verrenken, um den Schlüssel in das Schloss einzuführen. Er drehte ihn, die Kette rutschte dabei über seine Haut im Nacken und verursachte eine Gänsehaut. Das Schloss sprang auf. Silberschläger richtete sich wieder auf und ließ den Schlüssel los.
    In dem Kästchen lag nur ein einziges Dokument, eine längliche Urkunde, die mit ihren zwei Siegeln und dem in zierlicher Schrift ausgeführtem Text ein wenig wie ein Ablassbrief aussah.
    Es war kein Ablassbrief.
    Mit einem missmutigen Ausdruck auf dem Gesicht nahm Silberschläger das Dokument zur Hand und überflog die ersten Zeilen, die er auswendig wusste.
    »Schuldverschreibung«, stand da in etwas größeren, geschwungenen Buchstaben und dann weiter, dass Gernot Silberschläger, Bürgermeister von Nürnberg, einem Mann namens Jitzchak Rosenbaum Geld schuldete. Viel Geld.
    Wie so oft überflog Silberschläger die genannte Summe. Üblicherweise fluchte er an dieser Stelle und raufte sich die Haare, doch diesmal lächelte er still.
    Richard Sterner war also ein Judenfreund!
    Silberschläger legte das Dokument wieder in das Kästchen, klappte dessen Deckel zu. Bevor er es wieder abschloss, gestattete er sich für einen Moment, in seinem kommenden Triumph zu baden.Am Morgen nach ihrem Treffen in der Krummen Diele tauchte Arnulf in aller Frühe bei Richard auf, um ihn abzuholen.
    Richard war gerade dabei, ein Frühmahl zu verspeisen. »Du traust mir wohl nicht zu, den Weg allein zu finden?«, fragte er schlecht gelaunt den Nachtraben, der breitbeinig vor ihm stand.
    Arnulf zuckte die Achseln. Er nahm sich einen Apfel aus der Schale in der Mitte des Tisches, biss hinein und leckte den Saft ab, bevor er mit vollem Mund antwortete: »Ich wollte nur verhindern, dass du vielleicht unsere kleine Verabredung vergisst.«
    Richard legte sein Messer fort. Hatte er zuvor schon wenig Appetit gehabt, so war ihm dieser jetzt vollständig vergangen. »Das würde ich nicht, und das weißt du!«
    Arnulf nickte. »Stimmt. Entschuldige.«
    »Schon gut!« Richard wischte sich den Mund ab und erhob sich mit einem Ruck. Neben seinem Stuhl stand eine Tasche mit Skalpellen und Werkzeugen, die er früher benutzt hatte. Er hatte sie lange nicht angerührt. Jetzt starrte er finster darauf, bevor er sie an sich riss. »Bringen wir es hinter uns.«
    Auf dem Weg ins Spittlertorviertel kamen sie an einem Platz vorbei, der von hohen dreigeschossigen Häusern umgeben war, so dass die Morgensonne, die sich nur mühsam ihren Weg durch die Wolkendecke bahnte, seinen Grund nicht erreichen konnte. In der Nacht hatte es erneut geschneit, und eine knöcheltiefe Schicht aus blendendem Weiß bedeckte den Boden und alle Hausdächer. Auf dem Platz jedoch hatten Dutzende Füße die weiße Pracht zu grauem Matsch zertrampelt. Ungefähr zwanzig Menschen hatten sich in der Mitte des Platzes zusammengedrängt und lauschten einem Mann, der auf einem umgedrehten Fass stand und eine flammende Rede hielt.
    »Und ich sage euch«, schrie er gerade in dem Moment, als Richard und Arnulf um die Ecke eines Hauses traten, »wenn wir uns nicht bald gegen sie zur Wehr setzen, werden sie unsere christliche Weltordnung verderben, denn sie sind Diener des Teufels!«
    Zustimmendes Gemurmel klang auf und veranlasste den Mann, sich noch etwas mehr ins Zeug zu legen. Er trug einen langen schwarzen Mantel, dessen Saum schmutzig war von Schnee und Matsch,und sein Hut war ihm in den Nacken gerutscht, wo er gefährlich ins Wackeln kam, als der Mann wild gestikulierte. »Nicht umsonst hat der Heilige Stuhl es Christenmenschen verboten, Zinsen für verliehenes Geld zu nehmen, denn diese Tat ist des Teufels! Und darum sage ich euch: Wehrt euch gegen das jüdische Pack, das sich an eurer Not eine goldene Nase verdient! Jagt sie aus der Stadt!«
    »Jawohl!«, schrie ein grobschlächtiger Mann in der Menge. »Jagt sie fort! Oder noch besser: Schlagt sie alle tot!«
    Richard runzelte die Stirn, als er diese Worte hörte. In letzter Zeit kam es immer

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