Cherubim
herein!«
Die Nonne trat zur Seite und gab Katharina den Weg frei.
»Danke«, flüsterte Katharina ihr zu.
Es war kalt im Raum, denn die beiden Fenster standen sperrangelweit offen.
Kunigunde schien das nicht zu kümmern. Sie saß an ihrem Schreibpult und hatte ein dickes, in grünes Leder gebundenes Buch vor sich liegen.
Während Katharina näher trat, versuchte sie, den Titel zu entziffern, der in einer ziemlich krakelig aussehenden Handschrift auf den dicken Rücken gemalt worden war.
Alles, was sie erkennen konnte, war ein Name.
Thomas.
Sie ließ von dem Buch ab und konzentrierte sich auf die Priorin.
Die stand mit einem Lächeln auf, das jedoch sofort von einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck abgelöst wurde. »Gut, dass Ihr kommt«, ächzte sie. »Die Schmerzen sind schlimmer heute.«
Katharina hielt ihr Fläschchen hoch. »Hiermit solltet Ihr Euch zweimal am Tag alle schmerzenden Gelenke einreiben«, riet sie und stellte das Fläschchen auf dem Pult ab.
Kunigunde griff danach, entkorkte es und roch daran. Hustend zuckte sie zurück. »Du liebe Zeit!«
Katharina unterdrückte ein Lächeln. »Man nennt es Engels- oder Angelikawurz. Ich habe ein Destillat daraus hergestellt, und es sollte Eure Schmerzen etwas lindern.« Sie zögerte, weil ihr eine Frage auf der Zunge brannte.
Kunigunde stellte das Fläschchen zurück auf das Pult und sah Katharina an. »Was liegt Euch auf der Seele?«, wollte sie wissen.
Katharina zögerte. »Ich weiß nicht ...«
Kunigunde setzte sich wieder. Sie stöhnte dabei so tief auf, dass es klang wie der Laut eines verwundeten Tieres. Mit einer matten Handbewegung deutete sie auf den Stuhl vor ihrem Pult.
Katharina ließ sich auf die Kante des Möbels sinken. »Ich frage mich Folgendes«, wagte sie es endlich zu sagen. »Gilt nicht eine Krankheit in den Augen der Kirche als Strafe Gottes? Wieso dürft Ihr Eure Leiden mit meiner Medizin lindern?«
Zu ihrer Überraschung warf Kunigunde den Kopf in den Nackenund lachte so laut, dass es von den Wänden ringsherum widerhallte. »Ihr macht Euch eine Menge Gedanken, nicht wahr?«
Katharina zuckte die Achseln.
»Nun, dann will ich Euch Eure Bedenken nehmen. Sicherlich sind körperliche Leiden als Strafe Gottes zu sehen. Ich frage Euch aber gleichzeitig: Warum sollte Gott uns die Fähigkeit zu denken gegeben haben, wenn er nicht wollte, dass wir sie auch nutzen? Er hat Euch einen Verstand gegeben, der Euch befähigt, anderen Menschen zu helfen. Gleichzeitig verlangt Er von uns, Sorge zu tragen für unsere Mitmenschen. Was sagt Euch das?«
Katharina lächelte. »Dass Er möchte, dass ich meine Fähigkeiten zum Wohle der Menschen einsetze.« Wenn doch der Stadtrat das genauso sehen würde , dachte sie.
Kunigunde legte eine Hand auf das grüne Buch und schaute Katharina so forschend an, dass sich diese vorkam wie kurz vor einem hochnotpeinlichen Verhör. Die feinen Linien um Kunigundes Lippen vertieften sich zu einem Lächeln, das jedoch ihre Augen nicht erreichte. »Ihr habt Euch sicher gefragt, warum ich Euch noch einmal hereingebeten habe, nicht wahr?«
Katharina nickte.
Da hob die Priorin ihre Hand von dem Buch und zupfte sich den schwarzen Schleier über der Schulter zurecht. Das Kreuz um ihren Hals fing einen einzelnen Sonnenstrahl ein, der durch eines der offenen Fenster fiel, und das kurze Aufblitzen erschien Katharina wie ein Zeichen.
»Nach unserem gestrigen Gespräch habe ich mir Gedanken gemacht«, sagte Kunigunde. Sie sprach langsam, mit Bedacht, als wäge sie ein jedes ihrer Worte sorgfältig ab. »Ihr scheint mir eine sehr erfahrene Heilerin zu sein.«
Katharina wartete ab.
Da endlich erreichte das Lächeln auch Kunigundes Augen. Ein wenig stärker hoben sich ihre Mundwinkel. »Ich möchte Euch einen Vorschlag machen.«
Sicher, was nun kommen würde, nickte Katharina.
»Vor zwei Wochen ist unsere Schwester Infirmaria gestorben. Ihre Stelle ist bis heute unbesetzt.« Kunigunde beugte sich ein wenig vor.»Ich würde mir wünschen, dass Ihr ihre Nachfolgerin werden würdet.«
Durch das Gespräch mit Bruder Johannes kam diese Eröffnung nicht unerwartet. Dennoch sorgte sie dafür, dass Katharina nach Luft schnappte. »Ich ... ich bin keine Nonne«, wandte sie zaghaft ein.
»Das ist auch nicht notwendig. Das Kloster besteht nur zu etwa der Hälfte aus Nonnen. Der Rest sind einfache Stiftsdamen. Auch als eine solche könntet Ihr uns Eure kostbaren Dienste zugutekommen lassen.«
Stiftsdamen waren Frauen, die
Weitere Kostenlose Bücher