Cherubim
wenig höher auf, als erwarte er, dass sie auf ihn losging. Doch sie warf den beiden Männern nur einen wilden Blick zu und rannte mit großer Hast an ihnen vorbei und die Treppe hinauf zu einem der beiden Zimmer, die dort oben lagen. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss, und dann hörte Richard gedämpft das Knarren von Holz. Offenbar hatte Maria sich auf die Bettstatt geworfen.
»Was ist denn mit der los?«, wunderte sich Arnulf.
Richard war nicht klar, was er meinte. »Sie glaubt, dass du der Vater von Dagmars Kind bist«, erinnerte er den Freund.
Arnulf leerte seinen Becher und stellte ihn mit einem Krachen aufdem Tisch ab. »Schon! Aber das ist nicht der Grund für diesen Blick eben! Hast du gesehen, wie sie geschaut hat? Da war irgendwas ... Irres in ihren Augen.«
Richard zuckte die Achseln. Zwar hatte er diesen Ausdruck, von dem Arnulf sprach, auch gesehen, aber er kannte Maria nicht gut genug, um zu entscheiden, ob sie wegen des Kindes oder wegen etwas ganz anderem so wild geschaut hatte. Er überlegte noch, was er sagen sollte, als es erneut klopfte.
Wieder trottete Niklas zur Tür.
Und wieder war es nicht Sibilla.
Katharina betrat die kleine Gasse, an deren Ende das Gasthaus lag, kurz nachdem die Türmer die fünfte Tagesstunde geläutet hatten. Um diese Zeit wirkte das Gebäude verlassen, doch von früher wusste Katharina noch, dass der Wirt es fast rund um die Uhr geöffnet hielt. Also nahm sie all ihren Mut zusammen und marschierte mit einer Entschlossenheit auf die Tür zu, die sie eigentlich gar nicht empfand.
Eine Katze, die auf dem Fensterbrett eines Nachbarhauses saß, bemerkte sie, sprang auf den Boden und begann um Katharinas Beine zu streichen. Kurz bückte sich Katharina zu ihr hinunter und streichelte ihr über das silbergestromte Fell. Das Tier machte einen Buckel, um sich fester an ihre Hand zu schmiegen, und es miaute leise.
»Ich habe nichts zu fressen für dich«, murmelte Katharina, richtete sich wieder auf und setzte ihren Weg fort.
Die Tür des Gasthauses war noch immer so schief und krumm, wie sie sie in Erinnerung hatte. Katharina griff nach dem Türriegel und machte sich darauf gefasst, so kräftig wie möglich daran ziehen zu müssen. Doch sosehr sie sich auch mühte, die Tür ließ sich nicht öffnen.
Katharina blickte auf den Fensterladen im Stockwerk darüber. Er war geschlossen. Bedeutete das, dass der Wirt heute nicht geöffnet hatte?
Katharina überlegte, was sie in einem solchen Fall tun sollte. Sie könnte in eines der anderen Gasthäuser gehen und ihre Suche dortbeginnen. Aber etwas in ihr sträubte sich dagegen. Dies hier war wenigstens in Ansätzen vertrautes Gelände. Sich dorthin zu wagen, wo sie sich völlig fremd und verloren fühlte, konnte nur der allerletzte Ausweg sein.
Also nahm sie ihr Herz in die Hand und pochte an die Wirtshaustür.
Es dauerte nur Augenblicke, bis geöffnet wurde. »Gut, dass Ihr komm...«
Der Wirt sah, wen er vor sich hatte, und verstummte abrupt. »Seht Ihr nicht, dass wir geschlossen haben?«, blaffte er Katharina an.
»Doch ... ich ...«
»Geht woanders hin!«, unterbrach der Wirt.
»Bitte!« Katharina streckte die Hand aus. Hilfesuchend drehte sie die Handfläche nach oben. »Ich bin auf der Suche ...«
Die Tür wollte Katharina vor der Nase zufallen, doch sie stemmte die Hand dagegen. »Nicht!«, rief sie aus. »Ich bin auf der Suche nach einer Frau namens Dagmar!«
Die Nennung dieses Namens hatte eine völlig unerwartete Wirkung auf den Wirt. Wie vom Donner gerührt, stand er da, und fast gleichzeitig ertönte im Inneren der Gaststube eine tiefe Stimme. »Wer hat da eben von Dagmar gesprochen?«
Der Wirt drehte sich um, als ein Mann auf den Wirtshausflur trat, bei dessen Anblick Katharinas Gesichtszüge ins Rutschen kamen.
Dieser Mann war groß. Lang hingen ihm die schwarzen Haare in Stirn und Gesicht, und unter ihnen hervor funkelte ein Paar grüner Augen, das Katharina nur allzu gut kannte. »Arnulf!«, stieß sie hervor.
Ihr Herz machte einen seltsamen, fast schmerzhaften Hüpfer. Bis eben hatte sie geglaubt, Arnulf sei im Kampf gegen den Engelmörder ums Leben gekommen. Ihn so unvermittelt und vor allem lebendig vor sich stehen zu sehen, nahm ihr den Atem. »Ich ... ich dachte, du bist ... Ihr seid ...«
»... tot.« Er schob den Wirt zur Seite, so dass er sich vor Katharina aufbauen konnte. Er war ein ganzes Stück größer als sie, und so blickte er auf sie herab, als er sie nun musterte. »Katharina
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