Cherubim
für eine begrenzte Zeit ins Kloster gingen. Sie unterwarfen sich den Regeln und Gesetzen dort, aber sie legten kein Gelübde ab und konnten somit jederzeit wieder austreten. Im Falle einer Heirat zum Beispiel. Üblicherweise bedurfte es allerdings einer größeren Spende an das Kloster, um als Stiftsdame aufgenommen zu werden.
»Ich ...« Katharina wusste nicht, was sie sagen sollte. »Ich habe keinerlei Vermögen, das ich einbringen könnte.«
Da erhob sich Kunigunde, kam um das Pult herum und griff nach dem Fläschchen. »Oh doch!«, widersprach sie. »Das habt Ihr sehr wohl. Euer Wissen.«
»Euer Vertrauen in dieses Wissen ehrt mich, aber ...« Katharina stockte. Plötzlich erschien ihr das Angebot der Priorin gar nicht mehr so schrecklich. Wenn sie es annähme, wäre sie mit einem Schlag alle wirtschaftlichen Sorgen los. Aber was geschähe dann mit Mechthild?
»Ich ...« Sie griff sich an die Schläfe und rieb sie. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«
Das Lächeln auf Kunigundes Lippen verstärkte sich, wurde nun zu einem offenen, freundlichen Strahlen. »Ich habe nicht erwartet, dass Ihr sofort freudig einschlagt! Überlegt es Euch in Ruhe und kommt in ein paar Tagen wieder, um mir Eure Entscheidung mitzuteilen.« Sie griff nach dem grünen Buch, hob es hoch und begann darin herumzublättern. »Kennt Ihr Thomas von Aquin?«, fragte sie.
Katharina schüttelte den Kopf.
»Er gehörte zum Orden des heiligen Dominikus, wie wir hier imKloster auch. Er gilt als einer der gelehrtesten Männer, die die Kirche jemals hervorgebracht hat. Dieses Buch hier«, Kunigunde hob den Band ein wenig an, »enthält seine Schriften über die Engellehre. Eine überaus erbauliche Lektüre, das könnt Ihr mir glauben! Wenn Ihr Euch dazu entschließen könntet, in das Kloster einzutreten, könnten wir darüber disputieren, was meint Ihr?«
Katharina lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Fast hätte sie abwehrend die Hände gehoben, aber sie beherrschte sich gerade noch. »Verzeiht mir, aber ich habe, glaube ich, für mein Lebtag genug von Engeln.«
»Wies...« Kunigunde begriff und brach ab. »Oh! Verzeiht! Das habe ich nicht bedacht. Euer Bruder, nicht wahr? Wurde er nicht ein Opfer des Engelmörders?«
Plötzlich fragte sich Katharina, woher die Priorin ihr Wissen über die Vorgänge in der Stadt hatte. So streng wie die Klausur der Nonnen war die der Priorin offenbar nicht.
»Ihr fragt Euch, woher ich das weiß?«
»Um ehrlich zu sein ...«
»Bruder Johannes ist so freundlich, mir ab und an zu erzählen, was außerhalb dieser hohen Mauern vor sich geht.« Kunigunde wirkte ein wenig beschämt angesichts dieser Tatsache. »Verratet mich nicht!«, bat sie. »Auch ich wurde nicht als Nonne geboren. Es gibt schon Tage, an denen ist mir die Zurückgezogenheit ein bisschen zu viel. Dann nutze ich die Möglichkeiten, die sich mir bieten.«
»Warum seid Ihr in dieses Kloster eingetreten?«, ergriff Katharina die Gelegenheit zu einer persönlichen Frage. Sie musste daran denken, was die Nonne ihr eben auf dem Gang erzählt hatte.
Kunigunde zögerte, doch dann nickte sie. »Ich denke, diese Frage steht Euch zu, da ich Euch gebeten habe, es mir gleichzutun. Aber ich bitte Euch um Verständnis, dass ich sie Euch nicht beantworten kann.«
»Warum nicht?«
»Es ist eine sehr traurige Geschichte«, gab Kunigunde zurück. »Und ich rede nicht sehr gern darüber.«
Katharina nickte. »Das verstehe ich.«
Genau in diesem Moment wurde an die Tür geklopft, und gleichdarauf steckte Aurelia den Kopf ins Zimmer. »Verzeiht, ehrwürdige Mutter, aber da ist ein Pater vom Männerkloster. Er wünscht Euch zu sprechen.«
Kunigunde seufzte gespielt. »Natürlich. Sag ihm, ich komme sogleich.« Als die Tür wieder ins Schloss gefallen war, wandte sie sich Katharina zu. »Es tut mir leid, wir müssen unsere kleine Plauderei auf ein anderes Mal verschieben.« Energisch warf sie sich die Spitzen ihres Schleiers nach hinten über die Schultern. »Überlegt Euch mein Angebot, ja?«
Katharina erhob sich. »Das werde ich«, versprach sie.
Nachdem die Klosterpforte hinter Katharina ins Schloss gefallen war, stand Katharina eine Weile in knöcheltiefem Schnee und dachte über das Angebot der Priorin nach.
Sie im Kloster?
Sie wollte diese Möglichkeit durchspielen, wollte sich vor Augen führen, was es bedeuten würde, eine Stiftsdame zu werden. Aber irgendetwas hinderte sie daran. Sie verspürte eine Mattigkeit, die ihren Geist träge
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