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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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machte. Wie Geister zogen die Gedanken durch ihren Kopf, nebeldünn und flüchtig, so dass sie kaum einen richtig fassen konnte.
    Sie wusste, dass dies eine Äußerung ihrer melancholia war, und sie wusste auch, dass sich dieser Zustand nur ändern würde, wenn sie etwas zu tun hatte. Würde sie sich gestatten, dem Bedürfnis nach Ruhe und Abgeschiedenheit nachzugeben, würde sie alsbald in eine Art Starre versinken, aus der sie sich dann nur mit größter Anstrengung wieder befreien konnte.
    Sie musste in Bewegung bleiben.
    Also beschloss sie, sich mit dieser Frau namens Dagmar zu befassen. Vielleicht gelang es ihr, sie zu finden und von ihr etwas zu erfahren, was einen Hinweis auf Heinrichs Mörder geben mochte.
    Katharina war sich nicht sicher, wie sie in den Mauern der Stadt eine einzelne Hübschlerin finden sollte, aber sie war entschlossen, es wenigstens zu versuchen. Wo hielten sich die Huren üblicherweise auf? Wo war die Aussicht am größten, eine von ihnen zu treffen? Da Katharina sich in diesen Fragen so gut wie gar nicht auskannte,beschloss sie, es an dem einzigen Ort zu versuchen, der ihr von früher wenigstens ein kleines bisschen vertraut war.
    Sie holte tief Luft. Dann lenkte sie ihre Schritte in Richtung Spittlertorviertel und zum Gasthaus Zur krummen Diele .
    Einige Stunden nachdem Richard den ersten Schnitt in Dagmars Leiche gesenkt hatte, saß er gemeinsam mit Arnulf an einem der Tische in Niklas’ Schankstube. Beide starrten sie schweigend in die Becher mit Branntwein, die Arnulf ihnen bestellt hatte. Richards war noch fast voll, der des Nachtraben jedoch bereits leer.
    Arnulf war bleich wie eine gekalkte Wand.
    »Mir ist schleierhaft«, ächzte er mit hohler Stimme, »wie man so was freiwillig und über Jahre hinweg machen kann!«
    Richard drehte seinen Becher in der Hand. Eine Jagdszene war auf der Zinnoberfläche dargestellt. Das Wild, ein stattlicher Zwölfender, stand in einem Dickicht und schien seine Jäger zu verspotten.
    Richard blies Luft durch die Nase, um den üblen Geruch der Sektion loszuwerden, der sich trotz des Minzöls in seinen Nasenlöchern festgesetzt hatte. »Nicht die Lektüre zahlreicher Bücher ist das Erfordernis eines Arztes, sondern die tiefste Kenntnis der Naturdinge und Naturgeheimnisse, welche einzig und allein alles andere aufwiegen« , zitierte er sinngemäß einen Satz, den er von einem Medicus gehört hatte.
    Arnulf verzog das Gesicht. »Geschwafel! Pah!« Er schaute auf und suchte Niklas’ Blick. Als der Wirt auf ihn aufmerksam wurde, hielt der Nachtrabe seinen Becher hoch, zum Zeichen, dass er Nachschub brauchte.
    Die Schankstube war leer, da der Wirt heute noch nicht aufgesperrt hatte, und so brachte Niklas gleich die ganze Flasche mit. Wortlos stellte er sie vor Arnulf auf den Tisch. Dann zog er sich so schnell zurück, als könne er es nicht ertragen, in ihrer Nähe zu sein.
    Richard konnte es ihm nicht verübeln. Er blickte auf seine Hände. Sie zitterten nur noch ein wenig.
    Das Bild von Dagmars Kind brannte hinter seinen Lidern, sobald er blinzelte. Ein winziges Ding, mehr einem Fisch ähnlich als einemmenschlichen Wesen. Eingebettet in die dunkelrote Höhle der Gebärmutter, hatte es vor Richard gelegen.
    »Mein Sohn«, flüsterte Arnulf jetzt. Er hielt seinen Becher in der einen, die Branntweinflasche in der anderen Hand und rührte sich nicht.
    Richard überging die Tatsache, dass sie nicht hatten erkennen können, ob das Kind ein Junge oder ein Mädchen gewesen war. Dennoch schüttelte er so sanft wie möglich den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
    »Warum nicht?« Arnulf starrte ihn aus brennenden Augen an.
    »Warten wir ab, was Sibilla zu sagen hat«, meinte Richard sanft.
    Sibilla war eine der Huren, die hier in der Krummen Diele auf Kundenfang gingen. Sie kannte sich mit dem Kinderkriegen ebenso gut aus wie die Hebammen der Stadt, auf deren Rat Richard lieber verzichten wollte.
    »Du hast mir immer noch nicht erklärt, warum du sie hast rufen lassen«, beschwerte sich Arnulf jetzt.
    Richard rieb sich das Genick. »Sie ist eine Engelmacherin. Sie wird uns sagen können, wie lange es her ist, dass das Kind empfangen wurde.«
    Arnulf goss sich Branntwein in den Becher und trank einen tiefen Schluck. »Das geht?«
    »Ich bin sicher, dass das geht. Wenn das Kind ...« Er unterbrach sich, weil es an der Vordertür klopfte. Niklas ging öffnen, doch es war nicht Sibilla, die um Einlass bat, sondern Maria. Bei ihrem Anblick richtete sich Arnulf ein

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