Cherubim
ihres Nachthemdes. Noch immer spürte sie das Lächeln auf ihren Zügen, und sie versuchte es zu genießen, so lange, wie es da sein würde.
»Katharina?« Die Stimme ihrer Mutter zerschnitt das Wohlgefühl, das sie für einen Moment lang eingesponnen hatte.
Katharina unterdrückte ein Seufzen. »Ja, Mutter?«
»Kannst du mir bitte kurz helfen?«
»Natürlich, Mutter.« Sie schüttelte noch einmal die Haare, doch das angenehme Gefühl blieb jetzt aus. Ihr Körper fühlte sich plötzlich wieder an wie gewöhnlich, mehr wie ein Panzer denn wie menschliches Fleisch, und alle Farben rings herum verloren ihren Glanz.
Mit zusammengebissenen Zähnen schwang Katharina die Füße aus dem Bett und tappte barfuß zu ihrer Mutter in die Kammer. Diesmal empfand sie allerdings keinen Widerwillen, als sie Mechthild in ihren Kissen liegen sah, sondern nur eine Art Mitleid – undsogar ein wenig Zärtlichkeit für diese alte Frau, die sie irgendwann einmal unter Schmerzen geboren hatte.
»Was ist dir?«, fragte Mechthild sie. Eine einzelne Talglampe brannte neben dem Kopfende ihres Bettes und zeichnete scharfe Schatten auf ihr Gesicht. In ihrem Licht wirkten Mechthilds Augen wie Seen. »Du siehst aus, als hättest du eben noch gelächelt.«
Konnte man ihr das wirklich ansehen?
Katharina legte eine Hand an die Wange. »Ich hatte einen schönen Traum.«
»Gut.« Mechthild war sichtbar neugierig auf den Inhalt dieses Traums, doch Katharina schwieg. Zwar war sie nicht abergläubisch, und die Vorstellung, dass man einen Traum nicht erzählen durfte, von dem man sich Erfüllung wünschte, hatte sie schon als sehr kleines Kind abgelegt. Aber dennoch hatte sie das Gefühl, dass diese kurze Szene mit Richard, die sie in ihrer Phantasie durchlebt hatte, ein besonders kostbarer Schatz war, den es zu hüten galt.
Als Mechthild begriff, dass sie nicht reden würde, seufzte sie leise. »Schöne Träume sind besser als Alpträume«, sagte sie.
Katharina konnte ihr da nur zustimmen.
Sie reichte ihrer Mutter den Nachttopf. Als sie das Gefäß in die Pegnitz entleerte, hörte sie von Ferne den Stundenschlag von St. Lorenz. Die Glocken von St. Sebald schwiegen noch immer.
»Schlaf noch ein wenig«, riet sie ihrer Mutter. »Es ist noch Zeit bis zum Sonnenaufgang.«
Sie wartete, bis Mechthild sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen hatte.
Dann kehrte sie in ihr eigenes Bett zurück und versuchte, die Leichtigkeit zurückzuholen. Es gelang ihr, bis sie wieder einschlief.
Als sie kurz nach Sonnenaufgang zum zweiten Mal erwachte, konnte sie sich nicht daran erinnern, ob sie erneut geträumt hatte. Es kam ihr jedoch so vor, als spüre sie den Nachhall von riesigen, gefiederten Engelsflügeln in ihrem Herzen, und sie musste die Zähne zusammenbeißen, um genügend Kraft zu finden, sich hinzusetzen und die Beine aus dem Bett zu schwingen.
Für eine Weile blieb sie auf der Bettkante sitzen und ließ den Kopfhängen, so dass ihre Haare sie an den Knien kitzelten. Das Wohlgefühl der vergangenen Nacht war fort, aber immerhin hatte sie noch die Erinnerung daran. Richard! Vor ein paar Wochen hatte sie den Kontakt zu ihm abgebrochen, aus Angst, sein Anblick könne die melancholia zurückbringen. Jetzt jedoch war die melancholia auch ohne sein Zutun zurückgekehrt, und es gab eigentlich keinen Grund mehr, Richard zu meiden. Vielleicht war es an der Zeit, zu ihm zu gehen und zu schauen, wohin sie diese Sache treiben würde?
Mit einem Ruck erhob sie sich von der Bettkante.
Sie musste jetzt keine Entscheidung treffen. Besser war es, sich um die Dinge zu kümmern, die sie heute zu erledigen hatte.
Zunächst Mechthild.
Sie half ihr, aus dem Bett in den Lehnstuhl zu gelangen, in dem sie große Teile des Tages verbrachte. Dann holte sie ihr eine Schüssel mit Wasser zum Waschen, und sie bereitete ein Frühstück aus Brot, Käse und einem Apfel vor, das sie Mechthild auf einem Brettchen reichte.
»Isst du wieder nichts?«, fragte Mechthild sie, während sie den ersten Bissen zum Mund führte.
Katharina schüttelte den Kopf. »Nachher. Ich bin jetzt noch nicht hungrig.«
Mechthild sah sie missbilligend an, sagte aber nichts dazu. Dennoch kam Katharina sich schon wieder gemaßregelt vor. Um diesem Gefühl zu entgehen, wandte sie sich der Treppe zu. »Ich muss weg«, erklärte sie.
Mechthild blickte fragend.
»Ich habe der Priorin vom Katharinenkloster versprochen, ihr meine letzte Medizin zu bringen.« Während Katharina das sagte, zog sie Haube
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