Cherubim
und Mantel an, dann machte sie sich daran, ihre verbliebenen Medizinfläschchen durchzusehen, um das Mittel zu finden, das Kunigunde benötigte. Sie fand es rasch, denn ihr Vorrat war in den letzten Monaten stark geschrumpft und wurde nicht mehr aufgefüllt, da ihr das Herstellen von Arzeneien ja verboten war. Der Stopfen, mit dem Katharina das Fläschchen verschlossen hatte, war ein wenig brüchig geworden im Laufe der Zeit, aber als Katharina das Fläschchen öffnete, stieg ihr der vertraute, erdig-herbe Duft vonEngelswurz in die Nase. Die Flüssigkeit war noch nicht verdorben. Gut.
»Ich bin bald wieder da«, versprach sie Mechthild, beugte sich über sie und gab ihr einen raschen Kuss auf den Scheitel. Mechthild konnte ein leises, erfreutes Lächeln nicht unterdrücken, bevor Katharina es sah.
»Pass auf dich auf!«, bat sie.
Katharina schluckte. »Mache ich.« Diesen Satz hatte ihre Mutter ihr früher immer mit auf den Weg gegeben. Es tat erstaunlich weh, ihn jetzt, nach so langer Zeit, erneut aus Mechthilds Mund zu hören.
Mit einem wilden Durcheinander von Zerknirschung, Wut und Angst im Herzen machte Katharina, dass sie das Henkershaus verließ.
Der Schnee, der gestern Abend zu fallen begonnen hatte, lag mehr als knöcheltief in allen Straßen und Gassen. Er dämpfte Katharinas Schritte zu einem leisen Flüstern, und auch alle anderen Geräusche wirkten wie durch einen dicken Schleier gefiltert.
Die Luft war kalt und klar, und sie biss Katharina in Wangen und Nase. Ein paar Kinder flitzten vorbei und bewarfen sich juchzend mit Schneebällen. Einer dieser Bälle traf Katharina beinahe am Kopf. Vor lauter Schreck über seine Untat erstarrte das Kind, das ihn geworfen hatte, zur Salzsäule. »Entschuldigt«, stammelte es. »Ich wollte nicht ...«
»Schon gut!« Katharina zwang sich zu lächeln, und erleichtert rannte das Kind weiter.
Die weißgetünchte Mauer des Katharinenklosters wirkte gegen den blendendweißen Schnee schmutzig. Katharina klopfte an die Pforte des Eingangshäuschens und wartete, dass die Klappe geöffnet wurde.
Heute war es nicht Aurelia, die durch das Loch spähte, sondern eine andere Nonne, deren Namen Katharina nicht kannte. »Ihr wünscht?« Immerhin klang sie weder so gelangweilt, wie Aurelia es getan hatte, noch so missmutig wie Agathe.
»Mein Name ist Katharina Jacob. Ich habe der ehrwürdigen Mutter versprochen, ihr heute eine Medizin gegen ihr Leiden zu bringen.« Katharina hatte erwartet, dass die Nonne sich das Fläschchendurch das Fenster hindurch würde reichen lassen, aber sie hatte sich getäuscht.
»Oh. Gut! Wartet einen Augenblick«, wurde sie aufgefordert.
Es dauerte nur wenige Momente, dann wurde die Tür geöffnet und Katharina hereingebeten.
»Die ehrwürdige Mutter möchte Euch sehen«, erklärte die Nonne auf ihr verdutztes Gesicht hin.
Katharina nickte. Sie hatte nichts dagegen, noch einmal mit Kunigunde zu sprechen, aber im Grunde wusste sie nicht, was sie ihr noch sagen sollte. Sie hatte all ihr Wissen über Kunigundes Gelenkschmerzen gestern schon preisgegeben. Nachdenklich betrachtete sie das Fläschchen in ihren Händen.
Und dann ging ihr auf, was die Priorin von ihr wollte.
Die Stelle der Infirmaria! Mit zusammengepressten Lippen wappnete sich Katharina gegen das Kommende.
Die Nonne führte sie dieselben Gänge entlang, die sie schon bei ihrem ersten Besuch gegangen waren. Diesmal schenkte Katharina der Engelsstatue einen längeren Blick, und noch immer erschauderte sie unter dem Anblick der weit ausgebreiteten Flügel. Rasch machte sie, dass sie weiterkam.
Die Nonne bemerkte ihre Anspannung. »Ihr müsst keine Angst vor der ehrwürdigen Mutter haben«, meinte sie freundlich. »Sie ist ein bisschen harsch, aber eine warmherzige und gute Frau. Sie behandelt uns Nonnen wir ihre Kinder.«
Katharina dachte an die Zurechtweisung, die Schwester Aurelia hatte über sich ergehen lassen müssen. Wie Kinder, wahrlich! , dachte sie.
»Im Grunde ist sie wahrhaft heiligmäßig«, fügte die Nonne an. »Es geht das Gerücht, dass sie ins Kloster gegangen ist, weil sie ein Kind verloren hat. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber auf jeden Fall hat sie eine jede von uns in ihr Herz geschlossen wie eine Mutter.« Sie blieb vor der Tür der Priorin stehen und klopfte.
»Tretet ein!«, war eine energische Stimme zu vernehmen.
Die Nonne öffnete und kündigte Katharina an.
»Sehr gut.« Katharina hörte, wie drinnen ein Buch zugeklappt wurde. »Lasst sie
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