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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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sich angefühlt wie ein Schlag ins Gesicht.
    Was wollte sie hier in dieser Spelunke?, fragte er sich. Und warum erkundigte sie sich ausgerechnet nach Dagmar?
    Er dachte an die Leiche der jungen Frau hinten im Schuppen, daran, wie er ihren Leib geöffnet und untersucht hatte. So fest es ging, presste er die Handflächen auf die Tischplatte, denn er spürte schon wieder dieses elende Zittern nahen. Halbherzig verfluchte er Arnulf, der ihn zurück in jenen Mann verwandelt hatte, den er drei Monate lang hinter sich gelassen hatte. Aber dann rief er sich selbst zur Ordnung. Er war Silberschlägers Bitte nachgekommen, sich die Leiche im Turm anzusehen, und das war der wahre Auslöser für das Zittern gewesen. Arnulf konnte nichts dafür.
    »Warum wollt Ihr zu Dagmar?«, fragte der Nachtrabe.
    Katharina reagierte mit einem raschen Niederschlagen der Augen. »Es gab einen ... Mord«, setzte sie an und verstummte wieder.
    Richard zog die Augenbrauen hoch. Katharina wusste von dem Mord an Dagmar? Was hatte sie mit dieser Angelegenheit zu tun? Er musterte sie, suchte in ihrem Blick nach ihren Empfindungen. Alles, was er entdeckte, war diese furchtbare Mischung aus Traurigkeit und Teilnahmslosigkeit.
    »Woher wisst Ihr davon?«, hörte er sich fragen.
    Katharina hob erstaunt die Augenbrauen. Dann lehnte sich zurück. Da der Schemel, auf dem sie saß, keine Rückenlehne hatte, stieß sie mit der Schulter gegen die Wand, die sich schräg hinter ihr befand. Sie rückte das Möbel ein Stück herum, so dass sie besseren Halt an den rauhen Brettern finden konnte. »Ich habe die Leiche gesehen.«
    »Wo?«, schnappte Arnulf. Sein Blick huschte zur Hintertür, und gleichzeitig stieß der Wirt hinter seiner Theke ein angstvolles Ächzen aus. Seine Tochter hatte er längst hinausgeschickt.
    »In der Ruine an der Frauentormauer, wo man ihn gefunden hat.«
    Arnulfs Miene wurde erst finster, dann völlig ausdruckslos. »Man hat sie nicht am Frauentor gefunden, sondern ...«
    »Moment!« Richard hob die Hand. »Ihr sagtet gerade, ›wo man ihn gefunden hat‹. Ihn?«
    Katharina nickte. Ihr Pulsschlag ging schnell, das konnte Richard durch die dünne Haut an ihrem Hals sehen. »Ja. Heinrich. Er war einer meiner ... Patienten.« Sie zögerte hörbar vor dem letzten Wort.
    Richard versuchte, ihre Worte in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. »Eurer Patienten?«, wiederholte er.
    Sie nickte abermals. »Ich konnte nicht einfach aufhören, Menschen zu helfen. Darum habe ich angefangen, mich um die Ärmsten zu kümmern.«
    »Dieser Heinrich!« Arnulf beugte sich ein wenig vor. »Er wurde ermordet.«
    Katharina nickte erneut. »Und man hat ...« – tief holte sie Luft, bevor sie es aussprach – »... ihm beide Augen ausgestochen.«
    Diese Worte trafen Richard wie ein Schlag. »Bitte?«
    Katharina wiederholte nicht, was sie gesagt hatte. Es war nicht nötig, und das wussten sie alle drei.
    Arnulf starrte auf den Tisch vor sich und sagte eine ganze Weile lang gar nichts. Stattdessen holte er einen Dolch aus einer Lederscheide an seinem Gürtel und begann, damit herumzuspielen.
    In Richards Kopf vollführten die Gedanken einen wilden Tanz. Es gab noch einen zweiten Toten mit ausgestochenen Augen! Er suchte Katharinas Blick, aber es gelang ihm nicht, ihn aufzufangen.
    »Warum erschreckt Euch das so sehr?«, fragte sie endlich.
    »Wir ...«, hob Richard an, aber Arnulf rammte seinen Dolch in die Tischplatte und sprang auf.
    »Kommt mit!«, befahl er.
    Er hatte Katharinas Handgelenk gepackt und sie zur Hintertür gezerrt, bevor Richard auch nur protestieren konnte.
    »Was soll das?«, rief Katharina aus. »Lasst mich los!«
    Aber Arnulf scherte sich nicht um ihren Widerstand. Er stieß die Hintertür auf und zerrte Katharina auch noch auf den Hof hinaus. Erst da rührte Richard sich.
    »Lass sie sofort los!«, donnerte er, sprang auf und eilte hinter Arnulf und Katharina hinaus auf den Hof.
    Widerstrebend gehorchte Arnulf. Richard konnte förmlich hören, wie seine Zähne knirschten. »Sie scheint da mit drinzuhängen!«, brummte er. »Ich will wissen, was sie weiß!«
    Seine Augen glitzerten kalt und herausfordernd, und Richard las ihm die Gedanken an der Nasenspitze ab.
    Versuch mich aufzuhalten, wenn du dich traust!
    Er seufzte. »Dieser Tote, von dem Ihr gesprochen habt«, wandte er sich an Katharina. »Ihr sagtet, er gehöre zu den Ärmsten. War er ein Bettler?«
    »Ja. Ein armer Irrer, der unter einem verwirrten Geist litt. Er hatte seinen

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