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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Hände.
    Katharinas Muskeln bewegten sich, ohne dass sie ihnen den Befehl dazu gegeben hatte. Sie trat vor, wollte nach dem Tuch greifen.
    »Lasst mich das machen!«, bat Richard. Er kam an ihre Seite, und statt das Tuch einfach fortzuziehen, griff er nach den beiden oberen Ecken und schlug sie einmal um, so dass nur Dagmars Kopf zum Vorschein kam. Seine Fürsorglichkeit rührte Katharina. Er wollte nicht, dass sie sah, was seine Skalpelle aus dem toten Leib gemacht hatten.
    Gut ein Dutzend Herzschläge stand Katharina regungslos und starrte auf die leeren Augenhöhlen. Dann atmete sie aus. Es klangwie ein Seufzen. »Was ist«, flüsterte sie, »wenn das einem weiteren Menschen geschieht?«
    »Sie hat recht, Arnulf!«, sagte Richard, nachdem er Dagmars Leiche wieder verhüllt hatte. »Wir dürfen nicht zulassen, dass das noch einmal passiert, und wenn Silberschläger ...«
    Arnulf stieß lautstark Luft durch die Nase. »Mir ist egal, was euch antreibt! Alles, was mich interessiert, ist, das Schwein zu finden und zu töten, weil es Dagmar und mei... Dagmar das angetan hat.«
    Katharina war das Zögern nicht entgangen, und auch wenn sie keine Ahnung hatte, was Arnulf sich verwehrt hatte auszusprechen, so konnte sie doch deutlich sehen, wie sehr ihn Dagmars Schicksal mitnahm. Es erfüllte sie mit Beklemmung, zu erkennen, dass auch ein Mann wie er, jemand, der auf der Straße groß geworden war und den die Straße hart gemacht hatte, zu solchen Gefühlen fähig war. »Überlegt doch!«, sagte sie. »Die Art, wie die beiden umgebracht wurden, ist die Gleiche.«
    Richard runzelte die Stirn bei diesen Worten, aber sie ließ sich nicht beirren.
    »Es könnte doch sein, dass es sich um ein und denselben Mörder handelt. Wenn wir uns zusammensetzen, finden wir vielleicht heraus, wer er ist.«
    Arnulf wirkte nicht überzeugt, doch Richard schien sie auf ihre Seite gezogen zu haben. »Wir sollten wieder in die Gaststube gehen«, sagte er.
    Das taten sie, doch bevor sie Gelegenheit hatten, sich wieder an den Tisch zu setzen, wurde vorn an der Tür geklopft.
    »Das wird endlich Sibilla sein«, meinte Arnulf. Er wirkte erleichtert.
    Niklas hingegen sah aus, als habe er Zahnschmerzen. Katharina hörte ihn etwas murmeln, das wie »Taubenschlag« klang. Er zog die Schultern hoch und öffnete mit leicht hängendem Kopf.
    Die Frau, die er hereinführte, trug die auffälligen Kleider einer Hübschlerin, und sie war nicht mehr ganz jung. Katharina schätzte, dass sie die vierzig weit überschritten hatte. Das Gesicht der Frau war von Linien und Falten durchzogen, doch es wirkte auf faszinierende Art und Weise nicht alt, sondern eher weise und gütig. DieHaare, die die Frau zu einer Lockenfrisur gesteckt hatte, waren grau, doch ihre Gestalt war schlank und biegsam.
    »Sibilla«, begrüßte Arnulf sie. »Danke, dass du gekommen bist.« Er ignorierte die bösen Blicke des Wirtes.
    »Ich habe nicht viel Zeit«, sagte Sibilla mit einer hellen Stimme, die eher zu ihrem jugendlichen Leib als zu ihrem alternden Gesicht passte. »Eine Frau steht kurz vor der Niederkunft, und ich muss zu ihr.« Sie blickte Arnulf kopfschüttelnd an.
    Richard nickte. »Wir werden dich nicht lange aufhalten«, versprach er. Dann sah er Katharina an. »Es ist besser, wenn Ihr Euch nicht anhört, was wir zu bereden haben. Ich verspreche Euch, dass wir uns über die beiden Morde unterhalten werden. Später.«
    Katharina wollte protestieren, aber dann sah sie Arnulfs finstere Miene, und gleichzeitig wurde ihr klar, dass er sie notfalls eigenhändig aus der Gaststube schleifen würde, wenn sie nicht freiwillig verschwand. Also nickte sie, verabschiedete sich und ging – nicht ohne Richard einen fragenden Blick zuzuwerfen, in dem er hoffentlich lesen konnte, was sie dachte.
    Richard verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen, als Katharina so schweigend seiner Aufforderung folgte. Der Blick, den sie ihm zuwarf, brannte auf seinem Gesicht, und er glaubte förmlich zu hören, was sie ihn lautlos zu fragen schien.
    Seid Ihr sicher bei dem, was Ihr tut?
    Er war es nicht. Er atmete tief durch und wandte sich dann an Sibilla.
    Doch die hatte den Blick ihrer graugrünen Augen auf Arnulf geheftet.
    »Der lange Arnulf!«, sagte sie. »Ich dachte, du bist tot!«
    »Wie du siehst, lebe ich«, gab Arnulf gleichmütig zurück.
    Sibilla wandte sich an Richard. »Und wer seid Ihr?«
    Richard wies auf Arnulf. »Du kennst ihn«, sagte er, statt ihre Frage zu beantworten. »Das muss

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