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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Unterschlupf unten am Fluss.« Dort lebten tatsächlich die Allerärmsten, das wusste Richard, denn der Fluss ließ die Luft feucht aufsteigen, und die Löcher, in denen die Bettler hausen mussten, waren dort unten besonders kalt und armselig.
    »Und ihm wurden die Augen ausgestochen?« Er kam sich fast grausam vor, es noch einmal auszusprechen, wo sie zuvor solche Mühe gehabt hatte, es über die Lippen zu bringen.
    Sie nickte nur schwach.
    »Wir haben noch eine Leiche«, erklärte Richard ihr. Er wies auf den Schuppen am anderen Ende des Hofes.
    Sie legte den Kopf schief. Hinter ihrer Stirn arbeitete es sichtbar, und rasch hatte sie die Mosaiksteinchen zu einem Bild zusammengefügt. »Dagmar«, flüsterte sie. »Darum war der Wirt so entsetzt, als ich nach ihr fragte!« Sie sah Arnulf an. »Und darum habt Ihr mich eben so rüde ...« Sie brach ab.
    Arnulf starrte nur finster vor sich hin.
    Katharina wartete, ob er etwas sagen würde, aber als er es nicht tat, blickte sie wieder Richard an. »Und Eurer Reaktion nach zu schließen, wurden auch Dagmar die Augen ausgestochen?«
    Sie sagte es als Frage.
    Arnulf unterdrückte ein Stöhnen, und das reichte Katharina als Antwort. »Ich möchte sie sehen«, sagte sie leise.

12. Kapitel
    »Überlegt es Euch noch einmal!«, flehte Richard sie an. Seine Hand lag bereits auf dem Riegel der Schuppentür, zu der er Katharina geführt hatte, aber er schien nicht bereit zu sein, ihr ihre Bitte zu erfüllen. »Es ist ein hässlicher Anblick.«
    »Ich weiß«, sagte sie nur. Sie konnte das Bild von Heinrichs entstelltem Gesicht einfach nicht aus dem Kopf verbannen, und sie verspürte ein unendliches Grausen dabei, sich noch eine weitere Leiche mit einer solchen Entstellung anzusehen. »Ich war bei Bürgermeister Silberschläger«, murmelte sie. »Weil ich dachte, ich könnte ihm vielleicht mit dem wenigen, was ich über Heinrich weiß, dabei helfen, seinen Mörder zu finden.«
    »Silberschläger!«, schnaubte Arnulf mitten in ihre Worte hinein.
    Sie ließ sich von ihm nicht beeirren. »Er hat mich ausgelacht«, fuhr sie fort. »Er sagte, er sei mit einem wichtigeren Mord beschäftigt und er habe keine Zeit, sich um Gesindel zu kümmern.« Jetzt hob sie den Blick vom Erdboden, auf den sie die ganze Zeit gestarrt hatte. Richards Blick lag schwer auf ihr, und sie fand in ihm Sorge und auch Entsetzen. Seine Hand, die auf dem Türriegel lag, zitterte leicht, und Katharina spürte, wie sie Mitleid für ihn empfand.
    »Heinrich hat mir vertraut«, sprach sie weiter, und auf einmal überkam sie die Trauer um diesen armen Menschen mit solcher Wucht, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Sie bemerkte sie zuerst hinten in der Kehle, die sich zusammenzog. »Ich kann ihn nicht einfach im Stich lassen.«
    »Du liebe Güte!« Arnulf warf die Arme in die Höhe, als spräche er mit einem bockigen Kind. »Ihr seid allen Ernstes hier, weil Ihr glaubt, dass Ihr seinen Mörder finden könnt? Was seid Ihr doch für eine dumme ...« Er unterbrach sich, weil Richard ihn böse ansah.
    Seine Worte drangen wie Nadelstiche in Katharinas Herz. Hatteer recht? Wollte sie sich wirklich zum zweiten Mal in ihrem Leben auf die Jagd nach einem Mörder machen? Alles in ihr sträubte sich dagegen, doch sie ahnte bereits, dass sie nicht einfach tatenlos zusehen konnte, wie ein Mensch, der Heinrich das angetan hatte, ohne Strafe davonkam.
    »Öffnet diese Tür!«, forderte sie Richard auf.
    Er schien jetzt zu spüren, dass er sie nicht vom Betreten des Schuppens abhalten konnte, denn schwerfällig kam er ihrem Befehl nach.
    In dem Schuppen war es hell, da die beiden Fensterläden rechts und links der Tür offenstanden. Mit klopfendem Herzen trat Katharina über die Schwelle – und erblickte die menschlichen Umrisse unter dem weißen Leichentuch.
    Keine Flügel diesmal! , hörte sie Bruder Johannes sagen.
    Die Luft war erfüllt von einem durchdringenden, schwer zu beschreibenden Geruch, einer Mischung aus Blut, Kot und vielem anderen, von dem Katharina lieber nicht wissen wollte, was es war.
    »Wie lange ist sie schon tot?«, fragte sie leise.
    Richard sah Arnulf an.
    »Sie starb vorletzte Nacht«, antwortete der.
    Dann konnte es sich bei dem Geruch nicht um Verwesung handeln, dachte Katharina. Es war zu kalt, als dass eine Leiche in so kurzer Zeit derartig zu stinken anfing. Sie warf einen Seitenblick auf Richard.
    »Ihr habt sie bereits seziert, oder?«
    Er nickte nur. Das erklärte das Zittern seiner

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