Cherubim
reichen.«
»Klar!« Sibilla griff in ihren ausladenden Rock, den sie zum Zeichen ihrer Profession mit hellgelben Flicken versehen hatte. Ihr Mieder war nicht halb so eng geschnürt wie das, das Dagmar angehabt hatte.
»Wir werden dir gleich etwas zeigen, das, nun, sagen wir, nicht ganz ... einfach zu verdauen sein wird«, erklärte Richard.
Sibilla wirkte amüsiert. Ihre Nase kräuselte sich, als sie ein helles Lachen ausstieß. »Nicht ganz einfach zu verdauen? Herzchen! Ich habe Dinge gesehen, denen du nicht mal in deinen schlimmsten Alpträumen begegnest.« Übergangslos wechselte sie von der ehrfürchtigen Anrede ins vertrautere Du. Richard war es egal. Er bezweifelte, dass diese Frau eine Ahnung hatte, was ihm in seinen Alpträumen begegnete, aber das behielt er für sich.
»Jedes Schweigen hat seinen Preis«, sagte Arnulf von seinem Platz am Tisch aus. »Welcher ist deiner?«
Sibilla legte den Kopf schief, als sie überlegte. »Kommt drauf an, was ich mir ansehen soll.«
Plötzlich war Richard unbehaglich bei der Idee, dieser Frau die aufgeschnittene Leiche zu zeigen. Er war einmal mit viel Glück einer Anklage wegen Leichenschändung entgangen; wenn er Sibilla jetzt Dagmar zeigte, lief er Gefahr, genau dieses Problem wieder auf seine Schultern zu laden.
Ihm kam eine Idee, wie er Sibillas Meinung einholen konnte, ohne sie dafür zu der Leiche führen zu müssen.
»Wir brauchen deinen Rat«, erklärte er ihr. »Bitte warte hier einen Augenblick.«
Er ging in den Schuppen. Mit zusammengebissenen Zähnen beugte er sich über Dagmar und entnahm das Kind ihrer Bauchhöhle, legte es in eine flache Schale und deckte diese mit einem seiner Leintücher zu. Seinen Magen konnte er dabei nur mit größter Anstrengung unter Kontrolle halten. Das Bedürfnis, mit einem Stoßgebet um Gottes Vergebung für seinen Frevel zu bitten, unterdrückte er.
Dann ging er wieder nach vorn in den Schankraum.
Als Niklas sah, was er in den Händen hielt, wurde er blass, schwieg jedoch.
»Dies ist das Kind einer armen Frau«, sagte er zu Sibilla und streckte ihr die Schale entgegen. »Was wir wissen müssen, ist: Wie alt war es deiner Meinung nach, als es starb?«
Sibilla deutete auf den Tisch, an dem Arnulf saß. »Stell sie da ab.«
Richard gehorchte.
Sibilla griff nach dem Tuch, zog es jedoch nicht sofort weg. »Es ist gestorben, ja?« Lauernd blickte sie erst Richard, dann Arnulf an.
Richard spielte mit dem Gedanken, ihr zu sagen, eine der jungen Huren habe eine Fehlgeburt erlitten, aber dann entschied er sich dagegen. Sibilla war kein Dummkopf. Sie würde ihn sofort durchschauen.
So nickte er nur, und er legte dabei einen Ausdruck in seine Miene, den sie nur als Verschwörertum deuten konnte. Er, ein Engelmacher! Bei allen Heiligen! Wie lange würde es noch dauern, bis er seinen Ruf endgültig ruiniert hatte? Bei dem letzten Gedanken hätte er beinahe aufgelacht.
Vorsichtig hob die Hure das Tuch an und spähte darunter. Dann ließ sie es wieder fallen. »Noch erstes Viertel«, sagte sie.
Richard verstand nicht ganz.
Sie verdrehte die Augen. »Männer!«, schnaubte sie. »Eine gewöhnliche Schwangerschaft dauert ungefähr vierzig Wochen. Dieses Kind hier wurde vor acht oder neun Wochen empfangen, es ist noch kein Viertel der Schwangerschaft rum gewesen.«
Richard sah Arnulf an.
Dessen Miene war völlig ausdruckslos, aber seine Finger krampften sich so fest um seinen Becher, dass die Knöchel weiß wurden.
»Danke!«, sagte Richard zu der Hure. »Du hast uns einen wichtigen Dienst geleistet.«
»Was ist mit meiner Bezahlung?«, fragte sie lauernd.
»Du sollst bekommen, was dir versprochen wurde.« Es war zwar gar nichts versprochen worden, aber dennoch zog Richard seinen Geldbeutel hervor und holte einen ganzen Gulden hervor. Sibilla quollen die Augen hervor.
»Das muss ja eine hochgestellte Bürgerin da hinten in Eurem Schuppen sein«, ächzte sie. »Wenn mein Schweigen so viel wert ist!« Sie wollte nach der Münze schnappen, aber Richard zog sie weg.
»Können wir dir trauen?«, wollte Arnulf wissen.
Eine seltsame Frage, fand Richard. Sie kam ein wenig spät.
Doch er hatte seinen Freund unterschätzt. Arnulf stemmte sich in die Höhe und baute sich vor Sibilla auf.
Eilig nickte sie. »Klar doch!«, haspelte sie. »Ihr habt einen kleinen Engel gemacht. Ich mache es auch. Würde sagen, wir haben beide was zum Drüberschweigen.« Sie grapschte nach der Münze, und diesmal ließ Richard sie ihr.
»Geh
Weitere Kostenlose Bücher