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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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jetzt«, verlangte Arnulf. »Und denk daran, dass ich dich finde, wenn du plaudern solltest.«
    Sibillas Kehlkopf ruckte hektisch, dann nickte sie, machte auf dem Absatz kehrt und eilte zur Tür. Mit bebenden Händen zog sie den Riegel fort und war im nächsten Moment verschwunden.
    Niklas ging schweigend, um hinter ihr wieder zuzusperren.
    Richard wandte sich Arnulf zu, der sich schüttelte und dann zurück auf seinen Stuhl sank.
    »Das Kind ist nicht von mir.«
    Kurz nachdem Arnulf von den Toten auferstanden und bei Richard aufgetaucht war, hatte er Nürnberg für ein paar Wochen verlassen müssen. Er hatte behauptet, er würde sich um Geschäfte kümmern müssen, von denen Richard lieber nicht wissen wollte, welche es waren. Er war erst vor einer knappen Woche wieder in die Stadt zurückgekehrt.
    »Nein«, sagte Richard. »Das ist es nicht.«
    Als Dagmar das Kind empfangen hatte, war Arnulf nicht in Nürnberg gewesen.
    Das Geräusch einer sich öffnenden Tür ließ sie beide aufblicken. Maria stand auf dem oberen Treppenabsatz und starrte auf die Männer hinunter. Ihr Blick war noch immer wild, irgendwie irre. Ohne Arnulf aus den Augen zu lassen, griff sie nach dem Treppengeländer. Ihre Hand glitt darauf entlang, während Maria Stufe um Stufe die Treppe herunterkam.
    Dicht vor Arnulf blieb sie stehen.
    In dessen Gesicht zeigte sich keine Regung. »Maria«, sagte er nur.
    Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen. Dann, plötzlich, mit einer blitzschnellen Bewegung, schlug sie ihm ins Gesicht.
    Arnulfs einzige Reaktion war ein leichtes Weiten der Augen, aber Richard meinte: »Das Kind ist nicht von ihm, Maria!«
    Sie schnaubte. »Die Ohrfeige war dafür, dass es von ihm hätte sein können!« Sie drängte sich an Arnulf vorbei.
    Mit einem heftigen Knall fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
    Arnulf seufzte leise. »Weiber!«
    Nachdem sie das Gasthaus verlassen und die Tür hinter sich ins Schloss geworfen hatte, konnte Maria nicht mehr weitergehen. Sie taumelte gegen eine Wand und musste sich daran abstützen, um nicht in die Knie zu gehen. Ihr Atem ging stoßweise, ihr Herz jagte so schnell, dass ihr schlecht davon wurde.
    Arnulf, dieser Mistkerl! Er hatte alles kaputtgemacht! Er hatte ihr die Freundin gestohlen und auch ihr Herz.
    Warum nur nahmen ihr alle immerzu alles weg?
    »Ich will zu meiner Mama!«, hörte sie sich selbst schluchzen, und der Kummer in ihrem Herzen wurde so mächtig, dass sie nun doch noch in die Knie sank. Kalt drückte die eisige Erde gegen ihre Schienbeine und Knie, doch sie merkte es kaum, denn eine weitere Erinnerung flammte in ihr auf.
    »Ich will zu meiner Mama! Warum habt ihr mir meine Mama weggenommen?« Immer wieder rief sie diese Worte, doch es war niemand da, der sie erhörte. Sie lag in einem Bett, das weich und warm war, doch in ihrem Innersten fror sie so sehr, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Sie sehnte sich nach Trost und Geborgenheit, nach der zärtlichen Umarmung ihrer Mutter und dem stolzen Lächeln ihres Vaters. Aber beides war unendlich fern hier in diesem großen Bett, in dem sie sich so fremd fühlte.
    »Ich will zu meiner Mama!«, heulte sie erneut, und da flog die Tür zu ihrem Zimmer auf. Eine Frau kam herein, groß und hager und mit einem wütenden Funkeln in den hellen Augen ...
    Das Bild verblasste. Maria hatte keine Ahnung, was geschehen war, als die wütende Frau hereingestürzt gekommen war, aber eines wusste sie jetzt: Es war die Frau, die ihr auf dem Großen Markt die Hand gequetscht, die Frau, die sie später dann zu den frommen Frauen gebracht und einfach zurückgelassen hatte.
    Sie war nicht ihre Mutter!
    Es erleichterte Maria unendlich, dass nicht ihre Mutter sie zu denfrommen Frauen gebracht hatte. Und gleichzeitig machte es sie traurig, denn die Bruchstücke ihrer Vergangenheit passten nicht zueinander. Sie ergaben einfach kein verständliches Bild von dem, was wirklich geschehen war. Warum war sie fort von ihren Eltern gewesen? Hatte man sie entführt? Und wenn ja, warum?
    Ein Geräusch hallte in Marias Erinnerung wider, doch sie konnte es nicht einordnen. Es klang wie ein Klatschen – rasch aufeinanderfolgende, kurze Töne, deren Ursprung ihr völlig schleierhaft war und die sie dennoch mit unendlichem Grauen erfüllten.
    Sie krümmte sich stärker. »Sie kommen!«, hauchte sie, und sie hatte keine Ahnung, was das bedeuten mochte.
    Im nächsten Moment legte sich ihr eine warme Hand auf die Schulter.
    Katharina

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