Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
Vanetti.
„Gib mir bitte den Schlüssel, Ernst. Falls es der Schlüssel ist.“
Wortlos reichte er die Kette mit dem Amulett nach hinten. Das war beachtlich. Schließlich saß er wieder in einer Rakete, die hinter einem winzigen Lichtkegel völlig enthemmt durch die schwarze Nacht rauschte und jeden Moment ... Stopp! Nur nicht weiter denken.
Chiara versuchte die Keramik durch vorsichtiges Drehen und Ziehen zu entfernen. Dort, wo sie bereits angebrochen war, funktionierte das. Was dabei enthüllt wurde, ähnelte tatsächlich einem Schlüssel aus mattem, rostfreiem Metall. Im oberen Bereich und an der Spitze genügten die Finger nicht.
„Hast du einen Hammer oder eine Zange?“ fragte sie zweifelnd.
„Natürlich“, erwiderte er schwach. „Wie soll man sonst aus einem brennenden Auto entkommen? Greif unter deinen Sitz.“
Elena ertastete eine Halterung mit einem kleinen Hammer, wie sie in Zügen für Notfälle angebracht sind, um damit die Scheiben einzuschlagen.
„Jetzt brauchen wir noch eine Unterlage“, murmelte sie.
Vanetti stöhnte leise . „Es ist unter jedem Sitz ein Hammer befestigt.“
„Manchmal ist es nützlich, wenn einer spinnt“, stellte Elena nüchtern fest.
„Ich spinne nicht“, begehrte Vanetti auf. „Es ist eine Phobie. Ach, was rede ich überhaupt ...“
„Eben. Ich halte den unteren und du klopfst drauf.“
So befreiten sie das Metall von seiner harten Kruste. Alles im schwachen Schein der Instrumentenbeleuchtung, weil sie sich instinktiv scheuten, eine Innenleuchte anzumachen. Chiara wischte die Staubschicht ab. Drei winzige grüne Rechtecke glommen auf.
„Er ist es“, sagte sie.
„Mit dem Schlüssel entfaltet er seine volle Kraft?“
Die Frage kam von Donahue.
„Ja, das glauben wir.“
Die Sorge um Antonio befiel sie plötzlich wie ein heftiger Schmerz, der nur langsam abebbte. Sie aktivierte den A-Grav und richtete ihn auf eine riesige erleuchtete Halle, an der sie vorbei fuhren. Auf dem Display erschienen ihre Umrisse, wie es beim Dom der Fall gewesen war. Nur die Öffnung für den Schlüssel tauchte nicht auf. Sie versuchte es noch bei zwei anderen Gebäuden. Ohne Erfolg. Enttäuscht sagte sie: „Er macht, was er will.“
„Das ist nicht so ideal“, bemerkte Donahue.
Ohne darüber nachzudenken, legte Chiara sich die Kette um den Hals und ließ den Schlüssel unter ihre Bluse gleiten. Er schmiegte sich an ihre Haut. Nicht unangenehm, eigentlich angenehm, auf jeden Fall ganz anders als jedes Schmuckstück. Der 164 surrte weiter durch die Nacht.
62___
Zwei Männer saßen im Salon, ein Telefon klingelte. Der Hausherr nahm das Gespräch entgegen, sein Gast, ein durchaus wichtiger Mann, der sich im tiefsten Inneren dennoch wie ein Schüler vor der Prüfung fühlte, zeigte höfliches Verständnis.
Das gewaltige Ranchgebäude, ein amerikanischer Palast, wirkte neben der großartigen Landschaft, in die man es gesetzt hatte, seltsam vergänglich und unbedeutend. Doch wenn einem die Ehre erwiesen wurde, die Ranch als Gast zu betreten, spürte man den Reichtum und die Macht ihres Erbauers auf Schritt und Tritt. Weder Architektur noch Einrichtung waren originell oder versuchten den Anspruch darauf zu erheben. Doch verfügten sie über ein Übermaß an Raum und waren bis ins kleinste Detail so gediegen und edel ausgeführt, wie man es nur für sehr viel Geld erhalten kann.
Wer aber im großen Salon saß, einer mittelgroßen Bahnhofshalle, bestückt mit einem halben Dutzend wuchtiger Sitzgruppen, der achtete darauf nicht mehr. Der war gefesselt vom Panorama, das durch eine riesige Glasfront zum Bestandteil des Salons gemacht worden war. Fünf Meter hoch, als Halbkreis weit über den steilen Abgrund hinausragend, tief unten das Tal, durchwunden von einem glitzernden, türkisfarbenen Fluss, gespeist von einer Vielzahl von Bächen, dazwischen grünes Weideland, grob gesprenkelt mit Felsblöcken, winzig mit Rindern, in der Ferne ansteigender lichter Wald bis zum Fuß schroffer Felsformationen, die Hunderte Meter fast senkrecht aufstiegen und sich in einer Silhouette aus dickeren und dünneren Nadeln vor den wechselnden Tageszeiten und ihren Himmeln ihr eigenes Denkmal setzten. Vom frühen Morgen bis in die Nacht wechselten die Farben. Manchmal in sanften Schattierungen und manchmal in grellen Sprüngen, je nach den Launen des Windes und des Lichtes und der Wolken, und in mondhellen Nächten war es wieder eine andere Welt.
Der Hausherr hob die Hand, um das Interesse des
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