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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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Enttarnung zu drohen. Das schien wirklich das Schlimmste zu sein, womit man diesen Herrschaften und ihren Regierungen drohen konnte. Anna wunderte sich, ob alle vergessen hatten, dass Mister Derringer immer noch ein Zeitungsmann war. Er hatte sich in der Waschküche zu gar nichts verpflichtet.
    Just als die beiden das Splendid betraten, kam ihnen der Gentleman auf der Hintertreppe entgegen. «So, ich habe ihn in seiner Suite abgeliefert», sagte er. «Lady Georgianas Zofe hat sich seiner angenommen. Das ist eine Dame, der man besser nicht widerspricht. Ich glaube, sie hatte ihn bereits im Bett, bevor ich zur Tür hinaus war. Übrigens weiss ich inzwischen auch, warum Monsieur Gérard so mitgenommen aussah – nicht nur aus Sorge um seine Gattin, die solcher Gefühle nicht bedarf, wenn Sie mich fragen. Anscheinend hat er nicht damit gerechnet, bei seinem Einbruch von einer Zofe mit einer Waffe in der Hand begrüsst zu werden. Er muss schleunigst den Rückzug angetreten haben, was wohl auch klüger war. Ich traue dieser Dame zu, mit dem Ding umgehen zu können. Und auf dem Sofa schnarcht ein hoffnungsvolles Talent des britischen Unterhauses – da haben Sie ganze Arbeit geleistet, mein Lieber!» Er tippte Henning anerkennend auf die Brust. «Der Gentleman wird mit dem Brummschädel seines Lebens aufwachen.»
    Anna dankte ihm für seine Hilfe und ging mit Henning nach oben, um abzulegen. Die Handtasche mit dem Tagebuch stellte sie auf den Schreibtisch. Als sie wieder aus der Kammer kam, wartete Henning bereits auf sie.
    «Was nun, Stauffacherin? Ich werde versuchen, im Speisesaal noch etwas zu essen zu ergattern. Und dann kann ich nur hoffen, Herr Ganz hat nicht bemerkt, wie schlampig ich Friedrichs Position ausgefüllt habe. Wenn ich Sie wäre, würde ich mich da unten vorläufig noch nicht blicken lassen, sonst hängt Ihnen Madame Gérard doch noch allerlei unangenehme Tätigkeiten an.»
    «Ich werde nach Lady Georgiana sehen», sagte Anna und versuchte, nicht zu sehr darüber nachzudenken, was die Lady wohl inzwischen von ihr halten mochte. Sie hatte nicht nur ihren Auftrag ruiniert, sondern sich vielleicht noch etwas viel Schlimmerem schuldig gemacht.
    Schweigend gingen sie nach unten. Anna war Henning dankbar, dass er nicht von dem sprach, was in der Waschküche noch geschehen war.
    Auf der Etage, wo Frau Göweils Zimmer lag, hörten sie Murmeln und die gedämpfte Aufregung, die in einem Hotel immer davon zeugt, dass etwas geschehen ist, das den Rhythmus des Hauses durcheinandergebracht hat. Sie gingen schnell weiter.
    Lady Georgiana öffnete Anna die Tür. Sie war barfuss in ihrer grünen robe de chambre , und ihre Kleidungsstücke lagen unordentlich im Zimmer verstreut. Sie trug das Haar offen, und aus dem Badezimmer hörte Anna Wasserrauschen. Anscheinend wollte Lady Georgiana die Erfahrungen dieses Tages wegwaschen.
    «Ich habe mit dem Konsul vor dem Zimmer der Frau Kommerzialrat Wache gehalten, damit die Gérards alles erledigen konnten. Dann habe ich es nicht mehr ausgehalten. Wie geht es Lieutenant Wyndham?»
    «Paget kümmert sich um ihn», gab Anna ausweichend zur Antwort.
    «Ja, er muss müde sein nach allem, was er heute angestellt hat. Der Konsul hat mir die ganze Geschichte erzählt. Es war ein guter Plan, nur wir beide brachten ihn durcheinander. Ich hätte auf Sie hören sollen. Wir hätten zuerst Lieutenant Wyndham aufsuchen sollen.»
    «Es wäre nichts passiert, wenn uns Mademoiselle Gérard nicht am Bahnhof belauscht hätte.»
    «Und ich konnte meinen Mund nicht halten», meinte Lady Georgiana bedauernd. «So geriet alles ausser Kontrolle. Er wollte Frau Göweil nur enttarnen und dafür sorgen, dass sie für ihre Regierung wertlos ist. Nun ist sie tot. Und ich weiss nicht, was ich denken soll. Bin ich erleichtert, weil sie niemandem mehr Schaden zufügen kann, oder entsetzt darüber, dass wir heute alle dabei geholfen haben, einen weiteren Mord zu vertuschen?»
    Anna wollte etwas sagen, doch Lady Georgiana machte eine abwehrende Handbewegung. «Vielleicht war es nur ein Herzschlag, aber der Wahrheit wurde heute jedenfalls nicht Genüge getan.»
    «Sie ist tot, und es gibt vielleicht mehr als eine Antwort auf die Frage, wie wir darüber denken sollen. Vielleicht dürfen wir entsetzt und gleichzeitig erleichtert sein.»
    Lady Georgiana setzte sich auf ihr Bett und schlug die Füsse unter ihrer robe de chambre ein. Sie betrachtete Anna. «Was werden Sie nun tun?»
    Anna war sich nicht sicher,

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