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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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vorstellen, warum du darüber nicht reden willst. Ich hoffe nur, du passt gut auf dich auf.»
    Hastings stand auf einmal neben ihm. «Wyndham – hörst du mir zu?»
    «Verzeihung, ich war mit den Gedanken woanders.»
    «In der Tat, ich hatte dich gefragt, ob du es dir nicht doch nochmals überlegen willst. Bleib doch eine Weile hier; in den Bergen ist es im Frühling und Sommer auch schön.»
    Christian hatte seinen Freund noch nie so seltsam erlebt. Den Entschluss, den Dienst zu quittieren und in die Schweiz zu ziehen, hatte Hastings ruhig hingenommen. Aber den Plan, den Winter in den Bergen zu verbringen, lehnte er mit einer für ihn ungewöhnlichen Eindringlichkeit ab.
    «Was ist nur mit dir, Hastings? Ich dachte wirklich, wir hätten diese Diskussion abgeschlossen.»
    «Ich mache mir Sorgen um dein Wohlergehen. Hier bist du in einer Stadt, wo es alles gibt, was du brauchst, und wenn es dir schlechter gehen sollte – was Gott verhüten möge –, dann bist du schnell in einem Hospital und in guten Händen.»
    «Sternenbach liegt nicht in der Wildnis. Es gibt dort einen fähigen Arzt, und die nächste Stadt ist einfach mit dem Zug zu erreichen.»
    Hastings setzte sich in einen der Fauteuils. «Vielleicht sollte ich mitkommen.»
    «Hastings, um Himmels willen, ich bin dir sehr dankbar für deine Hilfe, aber du musst in ein paar Tagen zurück in London sein. Ich will nicht, dass du meinetwegen in Schwierigkeiten kommst. Mir wird schon nichts passieren. Ich verbringe etwas Zeit in einem teuren Hotel bei gutem Essen, bewundere durch die Fenster die Berge, und wenn ich abenteuerlustig werde, spaziere ich ein wenig im Hotelpark herum.»
    Hastings starrte auf seine verschränkten Hände und schüttelte schließlich den Kopf. «Also gut. Aber versprich mir eines – nimm eine Waffe mit.»
    «Eine Waffe – wozu soll das gut sein? Ich werde viel lesen und Gedichte übersetzen. Ich habe weder im Sinn, noch bin ich dazu fähig, jemanden so gegen mich aufzubringen, dass ich eine Waffe zu meiner Sicherheit brauche.»
    «Tu es einfach, Christian. Mir ist wohler, wenn ich weiss, dass du dich verteidigen kannst. Dieses Jahr war für niemanden von uns einfach.»
    Christian betrachtete ihn nachdenklich. Damals, als er im Sommer endlich wieder Herr über seine Sinne geworden war, hatte er bestürzt die Veränderung in den Zügen seiner Cousine wahrgenommen. Noch bestürzter war er gewesen, als er begriff, dass Angst und Sorge um ihn sie so gezeichnet hatten. Inzwischen erschien Georgiana wieder schön und wie von Kummer unberührt, doch er wusste, es gab Spuren, die nicht zu sehen waren – nicht nur bei Georgiana. Leise sagte er: «In Ordnung; wenn es dir so viel bedeutet.»

Eröffnung
    «Ein guter Bartender muss im Charakter wie in seinem Benehmen und Auftreten vom Scheitel bis zur Sohle ein Gentleman sein. Abgesehen von seinem eleganten und sauberen Anzug und seinem bescheidenen und zuvorkommenden Wesen muss er eine gehörige Portion Menschenkenntnis besitzen. Er soll imstande sein, jeden eintretenden Gast auf seinen Charakter, seine Eigenheiten und – last but not least – seine finanziellen Verhältnisse zu taxieren.»
    Handbuch für Bartender – Harry Johnson, 1900
    Das Splendid öffnete seine Tore auf die erste Novemberwoche, auch wenn dann noch kaum Gäste auftauchten. Anna hatte viel zu tun. Nebst den Vorbereitungen für die Wintersaison kümmerte sie sich um die Einrichtung der Kleinen Suite; sie liess die reparierten Möbel herbeischaffen und schickte nach dem Ledersessel aus der Dépendance, den sie eigenhändig polierte.
    Nichts deutete mehr auf das vorherige Chaos hin. Die Holzpaneele mit den Lilien-Intarsien waren kunstvoll repariert und die beschädigten Tapeten ersetzt worden, und Herr Bieri hatte ein schlichtes Stehpult mit klar geschwungenen Linien geliefert, das tadellos zu den restlichen Möbeln passte.
    Anna war mit der neuen Einrichtung ganz zufrieden, nur etwas fehlte noch. Ein Lesezimmer sollte Licht und Ordnung ausstrahlen. Die schweren dunkelgrünen Vorhänge, die dank der eigenartigen Hygienevorstellungen der Frau Baronin der Zerstörung im August entgangen waren, wollten dazu nicht passen. Der Direktor hatte Anna für eventuelle Neuanschaffungen ein grosszügiges Budget eingeräumt, das sie bisher kaum angetastet hatte. Sie erstand in Sternenbachs jüngster Errungenschaft, dem Warenhaus «Zur Stadt Paris», Vorhangstoff in einem warmen Kupferton.
    Nähen war keine von Annas Stärken; sie

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